Yannicks Blog

Tage 31 & 32

Dec 022018

Ich bin tierisch im Sack Leute, trotzdem möchte ich euch von meinem Wochenende erzählen. Es war eine ganze Menge los, aber ich werde dennoch versuchen, mich möglichst kurz zu halten.

Fangen wir mit gestern, dem Samstag, an. Wie jeden Samstag machten wir uns früh auf den Weg ins Dorf, um mit dem Unterricht für die Kids fortzufahren. Ich wusste aber, dass wir das zunächst hinten anstellen müssen, da ich am Abend vorher erfahren hatte, dass ein paar Leute zur Zeit ein wenig aus der Reihe tanzen. Es ist wohl die Folge davon, dass speziell die letzten beiden Wochen echt nicht gut liefen und regelrechte Verzweiflungstaten mit sich zogen. Was das angeht, bekomme ich hier echt die volle Breitseite ab, was aber auch gut so ist, denn das ist die pure Realität.

Am Haus angekommen, schnappten Chime und ich uns gleich die Verantwortlichen und wir setzen uns zusammen. Etwa eine Stunde redeten wir auf sie ein und ich musste immer wieder die Vermittlerrolle einnehmen, weil es unter den Anwesenden zu eskalieren drohte. Am Ende des Gesprächs haben wir aber eine gute Lösung gefunden und sie glaubten mir, dass bessere Zeiten kommen würden. Da ich weiß, dass zurzeit einige Spenden eingehen und demnächst die Weihnachtsmärkte in Deutschland beginnen, konnte ich sicher sein, dass dies keine leeren Versprechungen sein sollten. Das also so geklärt, konnten wir doch noch ein wenig Unterricht machen.

Es war keine Zeit mehr, die Kinder wie gewohnt in die zwei Gruppen einzuteilen, daher machten wir eine große. Das war okay, da gestern insgesamt nur etwa 25 Kinder anwesend waren. So starteten wir mit einer gepflegten Runde Mathematik. Die Großen arbeiteten weiter fleißig an ihren Prüfungsfragen und die Kleinen addierten ebenso fleißig Äpfel und Orangen. Nach guten 1 ½ Stunden merkte ich, dass sie genug davon hatten und ich ging über zur Musik. Letzten Donnerstag hatte ich ja bereits einigen Kids ein oder zwei Akkorde auf der Gitarre gezeigt, wollte gestern aber einen ganz offiziellen Einstieg in die Welt der Musik machen. Es ging also von Musikinstrumenten über Noten und Tonleitern bis hin zu „Knocking on Heaven’s Door“, was wir zusammen auf der Gitarre einstudierten. Insgesamt trotz allem eine sehr schöne Einheit.

Okay, kommen wir zum heutigen Tage. Ich befinde mich gerade auf einem riesen Anwesen in Enugu, der Hauptstadt vom Enugu-State. Das Anwesen gehört Dr. Obi, dem auch das Anwesen in Lagos gehört und schon öfter in diesem Blog erwähnt wurde. Eine Beerdigung führte ihn dieses Wochenende nach Owerri und wir entschieden spontan, ihn auf seiner Heimreise zu begleiten und ein paar Tage hier zu verbringen.

Da wir ihn heute Morgen nicht erreichen konnten, machten wir uns einfach mal auf den Weg zu dem Hotel, in dem er unterkam – natürlich im besten der Stadt. Ich wusste nicht wirklich, was ich zu erwarten hatte, da ihm sein Ruf weit vorauseilte und er eine echte Legende zu sein schien. Als er uns seine Zimmertür öffnete, war ich aber doch sehr überrascht, denn er war sicher nicht so, wie ich erwartet hatte. Vor mir stand ein 81-jähriger Mann in Flipflops, hellblauer Jeans und weißem Tank-Top, der an Bodenständigkeit kaum zu übertreffen ist. Er kam gerade aus der Dusche und wollte nun das Frühstück zu sich nehmen, was ihm der Zimmerservice zuvor gebracht hatte. Wir setzten uns dazu und er drückte uns beiden jeweils eine Gabel in die Hand, um von seinem Teller mitzuessen. Ich schlug gleich zu, Chime aber schaute mich nur verdutzt an und wartete, bis der „Chief“ fertig war.

Kurze Zeit später kamen zwei seiner Bediensteten dazu, die ungefähr in meinem Alter waren. Gleich fiel mir auf, dass dieser Mann eine unglaublich coole Art hat, mit anderen Menschen umzugehen. Er ist unfassbar witzig und liebenswürdig, weiß aber auch mit einer strengen Hand zu führen. Die Menschen, die ihn umgeben, vergöttern ihn regelrecht, was aber nicht an seinem Vermögen, sondern an Respekt und Hochachtung liegt. Er ist sehr bemüht darum, allen auf gleicher Ebene zu begegnen. Mir schien es so, als hätte er irgendwie alles im Leben gesehen und wäre dadurch einfach unerschütterlich und mit der Welt im Reinen. Wir fragten ihn, ob er nicht Lust hätte, auf dem Weg in Awo-Omamma zu halten und sich unser Projekt anzuschauen, was für ihn keinen Umweg darstellte. Mit Freuden stimmte er zu und es ging los.

Dort angekommen staunten die Leute erstmal nicht schlecht, da wir natürlich in einem mega Schlitten unterwegs waren. Als ich dann aber ausstieg, kam die übliche Meute auf uns zu gerannt und begrüßte uns natürlich wie immer. Ich stellte Dr. Obi vor und wir zeigten im alles, was es zu sehen gibt. Er nahm direkt eine Art Vaterfigur ein und alle Anwesenden waren plötzlich seine Kinder. Er knüpfte sich auch die Troublemaker von gestern vor und verpasste ihnen eine ordentliche Ansage, ließ sie aber gleichzeitig wissen, dass er in Zukunft darauf achten wird, dass etwas Vernünftiges aus ihnen wird. Mich rührte die Situation fast zu Tode und als die Kids dann auch noch ein Lied für uns sangen, während der Doc jedem ein bisschen Weihnachtsgeld in die Hand drückte, war ich komplett am Ende. Ich hoffe, dass er nun gesehen hat, dass diese Leute ebenso Hilfe aus Nigeria selbst brauchen und wir somit auch in Zukunft auf seine Unterstützung zählen können. Dessen bin ich mir aber ziemlich sicher.

Nach weiteren drei Stunden Fahrt waren wir dann endlich in Enugu. Ich lernte sein Anwesen und seine Bediensteten kennen. Wir entspannten ein wenig, aßen zusammen und anschließend fragte ich ihn bei einem kühlen Bierchen über seine Geschichte aus, die übrigens unfassbar interessant ist. Das werde ich aber ein andermal weiter ausführen.

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Tag 31: Heute ein Dankeschön

Nov 302018

Diesen Beitrag möchte ich dazu nutzen, um ein paar Leuten zu danken:

1. Meiner Schwester Fenja und meinem Schwager Eyole, die mal eben satte 150€ gespendet haben.

2. Meinen Eltern Dirk und Tina Lux, die die Mitgliedsbeiträge für zwei Jahre in Höhe von 120€ überwiesen haben.

3. Julia Haselmann, die den Mitgliedsbeitrag für Studenten in Höhe von 12€ überwiesen hat.

 

Vielen vielen Dank für eure Unterstützung!

Tag 30

Nov 292018

Fühler im Essen, Echsen in der Dusche und Kakerlaken, die einen von der Schulter aus anlächeln, wenn man morgens aufwacht .. und alles scheint so normal. Es ist schon beeindruckend, wie schnell sich der Mensch an veränderte Umstände anpassen kann, solange man nur offen gegenüber allem bleibt.

Heute ist Donnerstag, also bin ich ins Dorf gefahren, um den Kids Nachhilfe zu geben. Die Stimmung ist nach wie vor auf dem Boden, Tendenz sinkend. Ich erfuhr, dass sie seit Samstag nichts vernünftiges mehr gegessen hatten. Leute, wenn jeder Leser 0,03€ spenden würde, könnten wir davon 30 Personen eine deftige Mahlzeit auf den Tisch zaubern. Aber wir blicken täglich auf unser Konto und es hat sich wieder nichts getan. Ich frage mich, was ich noch schreiben soll, um die Leute davon zu überzeugen, wie einfach man diese Situation lösen könnte. Man hört die Leute immer meckern über unseriöse Spendenorganisationen. Man wisse ja nicht, was mit dem Geld passiert, bestimmt stecken sich das irgendwelche korrupten Bosse in die eigene Tasche. „Da spende ich lieber gar nicht“, muss man sich dann anhören. Jetzt habt hier im Chiemela e.V. mal eine Organisation, die an Ehrlichkeit und Transparenz nicht zu überbieten ist, und es passiert trotzdem nichts. Unterm Strich ist das dann wohl auch nur eine weitere Ausrede, um gar nicht spenden zu müssen. Wahrscheinlich ist am Ende des Tages Hopfen und Malz sowieso verloren und dieser ganze Blog hier ist auch nur Zeitverschwendung. Achja, und wenn ich noch einmal den Satz „mir geht’s ja auch nicht so gut“ höre, werde ich auf dem Rückflug nach Deutschland wohl aus dem Flugzeug springen müssen.

So, ich habe mich wieder beruhig, zurück zum Thema. Ich kratzte schnell meine letzten Groschen zusammen, damit die Frauen ein paar Basics zum Kochen kaufen konnten. Gegen die schlechte Stimmung hatte ich glücklicherweise genau das richtige mitgenommen: eine Gitarre. Nachdem ich den Kids bei ihren Hausaufgaben und den Problemen bei den Beispielaufgaben zum Abschlusstest geholfen hatte, gab’s eine kleine Einführung in die Welt der Gitarre. Jeder durfte einmal die Gitarre in die Hand nehmen und zwei-drei Akkorde spielen. Freudig klimperten wir zwei Stunden vor uns hin, bis das Essen fertig war. Wir sangen, tanzten und hatten eine Menge Spaß zusammen, während wir die größten Hits von Bob Marley rausschmetterten. Da die Nachfrage heute so groß war, werde ich das wohl öfter einbauen und vielleicht sogar mit dem Unterricht verbinden. Allerdings ist eine Gitarre für 40 Kinder natürlich ein wenig schwierig.

Nach gut fünf Stunden traten wir dann die Heimreise an und nun ist schon wieder ein Tag um. Ich sehne mich schon nach Samstag, um den nächsten Tag mit diesen wundervollen Kids verbringen zu können.

So greift man ein perfektes e-Moll:

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Tag 28

Nov 272018

Bevor ich euch von meinem großartigen Tag erzähle, muss ich eine Sache klarstellen. Ich wurde darauf hingewiesen, dass ich sehr häufig das Wort „Busch“ verwende. Dass dieser Begriff bei vielen Deutschen eher negativ konnotiert ist, war mir zwar bewusst, aber ich habe es nicht bedacht. Für mich ist dieser „Busch“ ein großer Wald mit dichtem Unterholz, nicht mehr und nicht weniger. Ich möchte also keine furchteinflößende Atmosphäre oder ähnliches kreieren. Eher im Gegenteil, denn ich finde ich ihn einfach atemberaubend.

Was ich heute so getrieben habe? Ich hatte doch tatsächlich das Privileg, an einer standesgemäßen nigerianischen Beerdigung teilzunehmen. Und dabei handelte es sich nicht um irgendeine Beerdigung, sondern die vom Chief, dem Oberhaupt der Gemeinde, der mal eben knappe 100 Jahre alt geworden ist. Das ist bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 52 Jahren doch recht beeindruckend, wie ich finde. Der Nachhilfeunterricht musste deswegen heute leider ausfallen, aber das wird natürlich nachgeholt.

Wir verließen früh das Haus und saßen bereits um 10:00Uhr auf der Veranda von Chimezies Elternhaus. Plötzlich hörte ich sehr laute Sirenen, die zu dem Leichenwagen gehörten, der an uns vorbei Richtung Kirche fuhr. Gefolgt von einer riesigen Kolonne von Autos und Motorrädern machte sich die gesamte Gemeinde also auf den Weg zum Gottesdienst, den wir uns aber sparten. Gut zwei Stunden später zog das Gespann erneut an uns vorbei und fuhr zu dem Anwesen des Verstorbenen. Auch wir machten uns dann auf den Weg zu dem gerademal 300-400m entferntem Haus, was mitten im Wald lag. Dort angekommen, war ich natürlich erstmal wieder das Highlight. Das „Onyeocha“-Gerufe legte sich aber recht schnell und ich konnte mich hinsetzen und beobachten.

Sogleich fiel mir auf, dass dies keinesfalls ein Tag der Trauer war, sondern einer des Feierns. Das ganze Dorf war auf den Beinen, jeder trug farbenfrohe Kleider und war gut drauf. Schwarze Anzüge, weinende Angehörige und langweilige Trauerreden suchte man vergebens. Aus der Rede eines Mannes entnahm ich, dass man hier grundlegend anders mit dem Tod umgeht, als wir das tun. Es erinnerte mich tatsächlich ein wenig an den Circle of Life aus König der Löwen, wo aus dem Leben Tod wird, woraus wieder neues Leben blüht. Generell werden Leben und Tod nicht, wie bei uns, als zwei getrennte Phänomene betrachtet, sonders es ist alles „Eins“. Deswegen wird der Tod ebenso zelebriert, wie die Geburt. Meiner Meinung nach sind sie uns damit meilenweit voraus. Mir ist bewusst, dass „Asche zu Asche, Staub zu Staub“ eine gute Analogie dazu aus unserer Kirche darstellt, aber wirklich verinnerlicht hat das bei uns doch niemand.

Der Verstorbene hatte bereits seinen Weg unter die Erde gefunden und ein paar Männer fingen an, das Loch mit Erde zu füllen. Hier gibt es keine Friedhöfe, da es üblich ist, die Toten auf dem eigenen Grundstück zu vergraben. Das Grab befand sich vor dem Haus unter drei schönen Bäumen, was ich persönlich sehr romantisch fand. Als das Loch dann zu war, ging die Party so richtig los. Es waren sechs Pavillons aufgebaut, von denen jeder zu einer anderen Gruppe gehörte, dessen Farben die jeweilige Nachbarschaft repäsentieren. Jede dieser Gruppen präsentierte einen Tanz, wanderte einmal um das Grab herum und steckte Kerzen darauf an. Außerdem kamen immer wieder kleinere Gruppen vorbeimarschiert, die einen letzten Gruß in Form von Tanz, Gesang oder abgefeuerten Gewehren hinterlassen wollten. Im Hintergrund wurde stets traditionelle Musik mit lauten Trommeln gespielt und gefeiert, was das Zeug hält. Mit den geschätzten 500 Menschen, die an der Beerdigung teilnahmen, glich sie schon fast einer kleinen Parade, die mich sehr gut unterhielt. Ich war in meinem Leben bis jetzt auf zwei Beerdigungen und habe sie gehasst. Hier würde ich mich jederzeit auf einer blicken lassen.

Das war Tag 28. Ich bin heute also seit genau einem Monat hier. Dann mal auf die nächsten 28!

Hier noch ein paar Bilder:

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Tag 27

Nov 262018


Heute steht nicht viel an, also lasst mich euch doch noch eben von gestern erzählen. Vorab: meine Erlebnisse gestern mögen auf dem Papier vielleicht etwas dramatisch klingen, waren aber am Ende des Tages auch nur das täglich Brot eines jeden Nigerianers und somit war es auch für mich mal an der Zeit, das in dieser Form durchmachen zu müssen.

Der Plan war, Mary an ihrer Universität in Port Harcourt zu besuchen. Zur Erinnerung: die Liebe ist quasi eines der Aushängeschilder unseres Vereins, da sie es tatsächlich geschafft hat, ein Medizinstudium anzufangen und dieses bis heute sogar sehr erfolgreich zu führen. Port Harcourt ist die nächst größere Stadt und etwa 30-40km von Owerri entfernt, sollte also theoretisch, auch unter nigerianischen Umständen, in 45Minuten bis einer Stunde zu erreichen sein, wobei die Uni selbst weit außerhalb der Stadt gelegen ist. Wir haben für die Hinfahrt allein über drei Stunden gebraucht, lasst mich euch schildern, warum.

Gegen 10:00Uhr verließen wir das Haus und ein paar Meter weiter die Straßen hoch hielten wir direkt ein Taxi an. Nach langen Verhandlungen brachten wir ihn tatsächlich dazu, uns für einen guten Preis bis zur Uni zu bringen, dort zu warten und uns anschließend wieder zurückzubringen. Kurzzeitlich dachte ich „Jackpot“, wusste zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, dass wir den wohl schlechtesten Fahrer in ganz Owerri erwischt hatten.

Schon waren Chime, Ada und meine Wenigkeit auf der Port Harcourt Road unterwegs, die mitten durch den tiefsten nigerianischen Busch führt. Gerade im Niemandsland angekommen, verreckte uns die Karre, da der Depp von Fahrer das Tanken vergessen hatte und ebenso feststellen musste, dass sein Reservekanister im Kofferraum leer war. Nach einigen gepflegten Ausrastern von Chimezie machte sich der Fahrer, der glücklicherweise ein vorbeifahrendes Motorrad anhalten konnte, auf zur nächsten Tankstelle, die aber einige Kilometer weit entfernt lag. Die Atmosphäre war komisch, da Chime sehr beunruhigt war und sich wie ein Türsteher vor mein Fenster stellte. Ich blieb eigentlich recht entspannt und versuchte, die Lage etwas aufzulockern. Nach einer Stunde bei 36Grad brütender Hitze im Auto war dann auch ich kurz davor, meine Gelassenheit zu verlieren, hörte dann aber das sich nähernde Motorrad inklusive Fahrer und vollem Kanister. Es konnte also weitergehen.

Ein paar Einträge zurück berichtete ich euch von dem netten Polizeibeamten, der Adas Handy einkassierte. Wir befanden uns auf derselben Straße, was bedeutete, dass wir wieder unzählige solcher Check-Points passieren mussten. Die Ersten gingen noch in Ordnung, aber je mehr wir uns der Uni näherten, desto höher wurde die Militärpräsenz und somit auch die Anzahl der Check-Points. Später erfuhr ich, dass diese von der Uni bezahlt werden, da diese wirklich mitten im Busch liegt und das Gebiet generell als unsicher eingestuft wird. Als wir dann bei einer Kontrolle rausgezogen und näher kontrolliert wurden, stellten die Soldaten fest, dass die Papiere des Taxifahrers – diesem unfassbaren Vollidioten – seit mehreren Monaten abgelaufen waren. In solchen Gebieten verstehen die Jungs damit gar keinen Spaß und es war natürlich das gefundene Fressen, ein bisschen Schmiergeld zu verlangen. Beim ersten Mal kamen wir noch glimpflich davon, auch die beiden weiteren Male waren noch okay, der letzte Check-Point vor der Uni aber ganz und gar nicht mehr.

Wir wurden also wieder rausgezogen und erstmal 20 Minuten lang ignoriert. Dann versuchte der Fahrer es mit ein wenig Schmiergeld, aber der Soldat, den wir erwischt hatten, war ein durch und durch korruptes A****loch und als er sah, dass ein Weißer mit an Bord war, verlangte er eine utopische Summe an Geld. Mittlerweile hatte auch Chime das Auto verlassen und ich hörte hitzige Diskussionen aus dem aus Sandsäcken gebauten Büro. Dies ging sogar so weit, bis es eskalierte und einer der Soldaten mit einem Knüppel auf den Fahrer einschlug, der mir zu diesem Zeitpunkt echt leid tat. Eine weitere halbe Stunde verging und ich fing an, mich unglaublich über diese Situation aufzuregen, die sich zu einer echten Farse entwickelte. Ich überlegte, was passieren würde, sollte ich das Auto verlassen, um mich einzumischen, aber ich hielt natürlich die Füße still. Als ein Soldat auf der anderen Straßenseite mich sah, kam er freudestrahlend auf unser Auto zu und laberte mich davon voll, dass ich herzlich willkommen sei und dort sehen könne, wie sicher Nigeria sei und dass ich mich frei bewegen könne. Ich zögerte kurz, verlor dann aber schließlich doch meine Fassung und fragte den guten Mann, wie ich mich denn frei bewegen könne, wenn sie hier so etwas abziehen. Ich fragte ihn weiter, was genau deren Handeln mit dem Schutz der Bürger zu tun hätte und außerdem, was das Ausnutzen von Uniformen und Waffen, um Schmiergelder einzutreiben, für eine Funktion für die Gesellschaft darstellen solle. Ich stand zwar aus voller Überzeugung zu meiner Aussage, ließ mir aber nicht anmerken, dass ich mir fast in die Hose machte, während ich auf eine Reaktion wartete. Diese blieb aber aus und er ging zu den anderen ins Büro. Als Chime einen Blick rüber warf, winkte ich ihn zu mir rüber. Ich gab ihm ein bisschen Geld und sagte ihm, er solle es dem Soldaten geben, der gerade bei uns am Auto stand und liebe Grüße von mir bestellen. Plötzlich gab er unserem Fahrer Schlüssel und Papiere wieder und wir konnten weiterfahren.

Endlich an der Uni angekommen, wurden wir und vor allem das Auto gründlichst gefilzt, bevor wir uns auf den unsagbar großen Campus begeben durften. Wir trafen Mary, schnappten uns ein Keke und machten eine kleine Tour. Es war sehr spannend für mich zu sehen, wie sowas in Nigeria aussieht. Ich betrat einen Hörsaal, sah Sportplätze und Wohnheime und aß eine Kleinigkeit in der Mensa. Es ist ein sehr religiöser Ort, an dem auch viele Pilger anzutreffen sind. Die Studenten werden daher sehr streng geführt und haben eigentlich keinerlei Freiheiten, denn deren Leben besteht ausschließlich aus Studium und Kirche. Da wir für den Hinweg so lange brauchten, mussten wir leider bereits nach einer guten Stunde die Heimfahrt antreten.

Diese war verhältnismäßig ruhig. Wir passierten alle Kontrollen ohne größere Strapazen, blieben aber kurz vor Owerri noch einmal liegen. Der Fahrer hatte aber zum ersten Mal in seinem Leben mitgedacht und den Reservekanister gefüllt, während er auf uns wartete. Als wir dann auch wieder vorwärtsfahren konnten, nachdem das Getriebe eine Zeit lang nur den Rückwärtsgang akzeptierte, schafften wir es tatsächlich bis nach Hause. Nach einer ziemlich deutlichen Ansage meinerseits akzeptiere der Fahrer dann auch den Rabatt, den ich mir wegen der Umstände selbst auf die Fahrt gegeben hatte.

Ein Wohnheim:

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Gerade aus die Kirche, rechts die Mensa:

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Der Innenhof:

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Die medizinische Fakultät von Mary:

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Und mein persönlicher Favorit, ein Hörsaal:

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Tag 26

Nov 242018

Wie auch in meiner eigenen Kindheit, bildet hier die Straße den Nährboden für die frühkindliche Entwicklung. Beinahe täglich bedaure ich die „armen“ Kids in unserer Welt, die bereits im Kinderwagen ein Tablet in die Hand gedrückt bekommen. Auf dem ersten gemalten Bild erscheint ein schwarzer, viereckiger Kasten, anstatt der berühmte Kopffüßler. Wenn ich dann hier so sehe, wie die Kids sich Torpfosten aus Schuhen bauen oder Drachen aus Stöckern und Plastiktüten basteln, fühle ich mich 20 Jahre in der Zeit zurückversetzt und mich packt die pure Nostalgie.

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Gestern und vorgestern war nicht viel los, daher beschränke ich mich mal auf heute. Bereits um 9:00Uhr ging die Reise los Richtung Dorf, denn es war an der Zeit für den zweiten Tag Unterricht in unserer neuen, kleinen Schule und ich war tierisch aufgeregt, ob das, was ich mir so ausgedacht hatte, auch funktionieren würde. Kurz vorher machten wir noch Halt an ein bis zwei Stationen, um noch ein paar Schulmaterialien zu kaufen, denn ich habe von neuen Verbündeten einige Tipps bekommen. Ich stehe nämlich seit dieser Woche in Kontakt mit den Lehrern der örtlichen Primary School (Grundschule) und erklärte ihnen mein Vorhaben, aber auch, dass ich ihnen keinesfalls in ihre Arbeit fuschen wolle. Die Begeisterung war sehr groß und ich genieße volle Unterstützung, da auch sie wissen, dass sehr viele Kinder vom Bildungssystem nicht im vollen Umfang aufgefangen werden, bzw. ganz durch das Raster fallen. Wir werden uns nächste Woche erneut treffen, um uns abzusprechen und aus der Sache auch in Zukunft eine einigermaßen runde Sache zu machen.

Ich kam also gegen 10:00Uhr im Dorf an und merkte gleich, dass die allgemeine Stimmung sehr gedrückt bis sch****e war. Chemizie hatte mich bereits vorgewarnt, da zurzeit echt kein Geld da ist, was wiederum bedeutet, dass die Leute nicht arbeiten, den ganzen Tag nichts zu tun haben und zudem kein Essen da ist. Dass das die Gemüter auf 180 bringt, konnte ich sehr gut nachvollziehen und ich tat mein Bestes daran, mit allen einzeln zu reden und ihnen gut zuzusprechen. Als die Situation soweit beruhigt war fingen wir mit einer Stunde Verspätung mit dem Unterricht an. Wie erwartet, standen noch mehr Kinder vor mir, als letzten Samstag, aber ich hatte mich ja vorbereitet. So teilten wir die Meute in zwei Gruppen auf: zuerst zwei Stunden die Klassen 1-4 und dann drei Stunden 5-8. Vier Jahrgangsstufen pro Unterrichtseinheit abzudecken ist immer noch alles andere, als homogen, aber das Unterrichtskonzept, dass ich mir die ganze Woche über ausgedacht hatte, griff ganz gut und wir kamen alle irgendwie klar. Die erste Klasse umfasst nun schließlich 19 Kinder und die zweite 22. Die Atmosphäre war sowohl bei den Jungen, als auch bei den Älteren super produktiv und mit zwei kleinen Päuschen zwischendurch war es dann auch plötzlich 16:00Uhr. Zum Abschluss aßen wir dann alle noch schön zusammen unseren Reis mit Allerlei und wir machten uns auf die Heimfahrt.

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In Owerri angekommen, gönnten Chime und ich uns bis gerade erstmal ein oder zwei Bierchen und irgendwie kam es dazu, dass er sich mir komplett öffnete. Er erzählte mir die gesamte Geschichte hinter dem Haus und von seiner Mission, was mich aus dem Staunen nicht mehr rauskommen ließ und mir großen Respekt vor diesem Mann verschaffte. Wir in Deutschland schicken immer Geld und irgendwann können wir dann stolz den Artikel in der hiesigen Zeitung betrachten, wenn der nächste große Schritt erreicht wurde. Aber Leute, ihr könnt euch einfach nicht vorstellen, was dazwischen für ein unfassbares Leid passiert. Auch ich habe das Ausmaß dessen einfach so maßlos unterschätzt, aber ich kann euch eines mit Sicherheit sagen: wenn die Leute das, was ich hier täglich sehe und erfahre, selbst sehen würden, dann gäbe es all dieses Leid gar nicht, denn es würde ohne Ende gespendet werden. Es müsste ein Etat vom Staat bereitgestellt werden, damit deutsche Kinder ein verpflichtendes Praktikum in solchen Gebieten absolvieren könnten. Mir ist bewusst, wie radikal und utopisch das ist, aber es würde so vieles in den Köpfen der Menschen bewirken. Wir wären uns viel mehr im Klaren darüber, wie viel unser Wohlstand eigentlich wert ist und was für ein verdammtes Glück wir hatten, in dieses Leben geboren worden zu sein. Glaubt mir, die Leute hier sind sich ihrem Pech in jedem Fall bewusst.

Genug davon, mir ist gerade eine Kakerlake über den Fuß gekrabbelt. Das war das Zeichen, meine Höhle aufzubauen und mich darin zu verkriechen.

Tag 23

Nov 212018

Während ich die Leute hier so beobachte, frage ich mich oft, ob in deren Leben wohl jemals so etwas wie Normalität oder ein geregelter Tagesablauf herrscht. Es sieht für mich ganz danach aus, als gäbe es nur wenige Fixpunkte, nach denen man sich hier richten kann. Das alltägliche Chaos auf den Straßen macht einfach alles zu unberechenbar. Ich nehme es auch längst niemandem mehr übel, wenn er oder sie zu spät kommt. Vielleicht ist ja auch eben dieses Chaos die einzige universelle Konstante, nach der man sich hier richten kann.

Der Tag heute war recht entspannt, wobei ich wieder viel im Dorf unterwegs war. Wir kamen gegen 11:00Uhr bei Chimezies Elternhaus an und von da aus setzten wir zu einer weiteren kleinen Erkundungstour an. Diese begann bei seinen Arbeitskollegen vom Bau, mit denen wir uns erstmal ein kleines vormittagliches Bierchen gönnten. Was das Trinken von Alkohol angeht, scheint es hier wirklich keinerlei, zumindest inoffizielle à la „kein Bier vor vier“, Regeln zu geben. Nach einem Weilchen ging es dann weiter Richtung Niemandsland. Die Straße wurde schmaler, Leute und Häuser weniger und der Busch dichter und höher, bis wir schließlich das Dorf verließen. Würde ich einen Fuß von dem Pfad setzen, wäre ich wahrscheinlich für immer verloren und müsste mit den Wölfen leben. Zwischen all den Bananen- und Kokosnussbäumen fühle ich mich aber pudelwohl und ich hätte noch Stunden weiter durch das Grün wandern können. Wieder im Elternhaus angekommen, hatte sich meine Anwesenheit ordentlich rumgesprochen und es warteten wieder mal Leute auf mich, die ich natürlich unbedingt kennenlernen musste.

Als eine Frau auf ziemlich respektlose Art und Weise Geld und etwas von dem Brot, was ich zuvor für die Kids gekauft hatte, von mir verlangte, machte sich zum ersten Mal tiefe Ernüchterung in mir breit und mir wurde klar, dass das Reduzieren auf meine Hautfarbe und mein Geld langsam doch sehr anstrengend wird (nochmal: die Leute hier meinen das nicht böse und das ist mir bewusst. Oft wird nur gescherzt und die Leute haben einfach nicht vor Augen, dass mir das täglich an die hundert Male passiert). Speziell in dieser Situation aber bekam ich davon etwas zu viel und es folgte eine ziemlich heftige Ansage meinerseits, die mir im Nachhinein auch leidtat. Ich ließ die Dame wissen, dass ich nicht reich bin und in zwei Nebenjobs viel arbeiten musste, um diese Reise unternehmen zu können. Außerdem, dass ich ausschließlich für die Kinder des Projektes gekommen bin und sie ihre Lebenssituation nicht dazu berechtigt, so mit mir zu reden. Ich kann nun mal nicht Geschenke für die ganze Welt in meiner Tasche haben, noch kann ich individuell für das Elend der Welt verantwortlich gemacht werden. Es sprach wohl der Frust aus mir, denn in so ziemlich jeder Unterhaltung habe ich im Hinterkopf, dass es irgendwann um Geld gehen wird. Umso erfrischender sind diejenigen, die ich kennenlernen durfte, bei denen es eben nicht so war und mit denen ich ehrliche Gespräche führen konnte. Auch, wenn es nur eine Hand voll waren. Nachdem ich seitens Chime, Ada, deren Mutter und dem bereits wartenden Taxifahrer Zuspruch für meine Worte bekam, entschuldigte ich mich aber und fragte, ob sie mich denn verstehen könne. Etwas verdutzt bejahte sie es und wir stiegen ins Taxi, um rüber zum Projekt zu fahren.

Dort angekommen, wurde ich wieder mit großer Freude von den Kids empfangen, die mich gleich mit tausenden Fragen zu Englisch und Mathe bombardierten. Viele sind in der sechsten Klasse, was bedeutet, dass sie Ende des Schuljahres einen Abschlusstest schreiben müssen, dessen Bestehen sie für die Teilnahme an einer weiterführenden Schule berechtigt. Spontan fingen wir dann also bereits heute mit den Nachhilfestunden unter der Woche an. Als ich sah, was für einen Spaß die Kinder am Lernen und an Schule generell haben, ging mir das Lehrerherz so richtig auf. Mit einer wahnsinnigen Schnelligkeit sprachen wir deren Vorbereitungsaufgaben durch und irgendwie wusste ich selbst gar nicht so wirklich, wie mir geschieht. Ich hätte ihnen genauso gut Kernphysik erklären können (nicht, dass ich es könnte) und sie hätten es einfach aufsaugen und anwenden können. Im Handumdrehen waren zwei Stunden um und die Frauen riefen zum Essen. Das taten wir dann auch genüsslich und anschließend verabschiedete ich mich.

Jetzt liege ich in meinem ganzen Stolz, meiner kleinen Höhle, die ich mir gestern aus einem Mückennetz und ein paar Utensilien aus dem Bauschutt hinterm Haus zusammengebastelt habe. Sie schützt mich vor diesen verdammten Mücken und allem, was hier sonst noch so nachtsüber auf mir rumkrabbelt.

 

P.S.: Morgen werde ich mal versuchen, die versprochenen Bilder aus der Umgebung hochzuladen. 

Tag 22

Nov 202018

Vorweg möchte ich gerne Axel Roll von den Westfälischen Nachrichten danken, der unser Projekt und meine derzeitige Reise begleitet und dafür sorgt, dass wir auch in der Presse regelmäßig vertreten sind. Seine Situation in Deutschland scheint derzeit weitaus gefährlicher zu sein, als die meine in Nigeria, da meine Oma Wind davon bekam, wie ich öffentlich als Borghorster betitelt wurde. Falls du das hier liest Oma: es ist alles gut! Es war so abgesprochen! (Ich kann dir ja ein paar von meinen Wachen abgeben, Axel)

Heute war ein recht skurriler Tag. Ich bin mir nicht sicher, ob es an mir lag, aber heute war der erste Tag, an dem mir Personen mit einer gewissen Feindseligkeit begegneten – und das nicht nur in einer Situation.

Es fing damit an, dass uns mein Wunsch nach einer Gitarre quer durch die Stadt zum „New Market“ führte. Ich kann scheinbar nicht ohne und begab mich auf die Suche nach etwas Einfachem, was meine Sucht zu stillen vermag und nach meiner Abreise den Kindern im Dorf sogar noch eine kleine Freude bereitet. Nach langer Fahrt bogen wir in eine recht zwielichtige, kleine Gasse ein, in der sich, im Gegensatz zu den anderen Märkten, nicht alles um Essen, sondern um Autoteile und Technik drehte. Die Atmosphäre war eher düster und die Leute schienen geschlossener und zurückhaltender zu sein, als sonst. Der Ort war geprägt vom extremen Elend, das mir in Form von im Schlamm schlafenden Kleinkindern, Bergen von toten Tieren und Müll und verkrüppelten Menschen, die ihre Gliedmaßen wohl in den Maschinen verloren, nahezu ins Gesicht sprang. Die Blicke sprachen nicht wie gewöhnlich „herzlichen willkommen“, sondern eher „sieh gut hin, wie wir hier leben“. Seit meiner Ankunft habe ich tatsächlicher schlimmere Sachen gesehen, aber an diesem Ort schien die Hoffnungslosigkeit besonders präsent zu sein. Das Taxi fuhr durch die schmalen Gassen, bis wir schließlich an einer Art Lagerverkauf für Instrumente hielten. Mit einem gewissen Unwohlsein stieg ich aus, stellte aber gleich fest, dass alles halb so wild war. Ich spürte durchaus böse Blicke im Nacken, konnte damit aber recht gut umgehen und betrat also den Laden. Hier wurde ich dann wieder sehr herzlich empfangen und ich klimperte gleich ein wenig auf der einzig vorhandenen Akustikgitarre vor mich hin. Nach ordentlichen Verhandlungen hatte ich schließlich 34€ weniger in der Geldbörse und konnte sie mein Eigen nennen.

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Nach diesem Ausflug machten Ada und ich uns auf den Weg zum nächsten Meet & Greet. Jeder hier möchte mich allen vorstellen und mir stolz zeigen, wie sie leben und was sie tun. So wollte auch sie mir ihre Schule zeigen und mir ihren Lehrer vorstellen. Als wir dann in einen kleinen Stau gerieten, machte ich – auf der Suche nach Frischluft – den Fehler, mein Fenster runter zu kurbeln und einem kleinen Mädchen freundlich zuzunicken. Ich beachtete nicht, dass der Sonnenschirm, unter dem sie saß, das zu Hause einer obdachlosen Großfamilie zu sein schien. Prompt kam eine riesen Meute auf unser Taxi zu gerannt und bettelte nach Geld. Sie waren die ersten, die sogar so weit gingen, sich vor das Auto zu stellen und durch das Fenster rein zu greifen. Es artete so weit aus, dass sogar Fahrer und Ada machtlos waren und alle glücklich waren, als sich der Stau löste und wir weiterfahren konnten, ohne jemanden zu verletzen. Wieder erntete ich böse Blicke und fühlte mich echt miserabel.

Kurz darauf sollte die nächste bizarre Situation folgen. Wir fuhren auf einer Schnellstraße und auf diesen ist es üblich, dass alle paar Kilometer sogenannte „Check-Points“ kommen. Dabei handelt es sich um vom Militär bewachte Kontrollen, die in der Regel aber immer recht reibungslos ablaufen. Diese allerdings war ein wenig anders, da wir von einem recht überhitzten Soldaten rausgezogen wurden. Er war sehr aggressiv und verlangte unsere Handys, was ich natürlich verneinte. Seine Kalaschnikow machte mich leicht nervös, da ich mich wohl nie an diese Waffenpräsenz gewöhnen werde. Dennoch lies ich ihn auf höfliche, aber bestimmte Art und Weise wissen, dass er mir gar nichts kann und lieber mal ein paar Fische döppen gehen soll (hier im Blog kann ich ja jetzt ruhig eine große Schnauze haben). Als er mich dann links liegen ließ, nahm er sich Ada vor, die ihm schließlich auch ihr Handy gab. Nach einiger Zeit wurde sie aufgefordert, das Auto zu verlassen, kam aber zwei Minuten später wieder und wir fuhren weiter, als wäre nichts gewesen. Ich habe wirklich keine Ahnung, was da abging!

Als wir an der Schule ankamen, standen wir vor geschlossenen Türen, denn heute war ein nationaler Feiertag. Die Memo hatte Ada wohl nicht bekommen..

Tage 19 & 20

Nov 182018

Ob ich Heimweh habe? Diese Frage würde ich mit einem klaren „Nein“ beantworten. Dafür bin ich und war ich auch nie der Typ, eher im Gegenteil. Ich gebe zu, dass ich mich nicht gänzlich von gewissen Entzugserscheinungen der Zivilisation freisprechen kann, aber um diese zu befriedigen, muss ich nicht in Deutschland sein. Natürlich vermisse ich Familie, Freunde und Freundin, bin aber stets dazu imstande dieses Gefühl unterzuordnen, wenn es um persönliche Entfaltung und Interessen geht. Ich bin ein optimistischer Mensch und bin zu jeder Zeit davon überzeugt, meine Geliebten wiederzusehen, wenn die Zeit gekommen ist und ich sagen kann, dass ich meine gesteckten Ziele erreicht habe. Also nein, kein Heimweh, denn ganz so viel hat mein Heimatland mir dann doch nicht zu bieten.

Nun will ich euch von meinem genialen Wochenende erzählen, denn Leute, seit gestern kann ich behaupten, Waisenkindern in Nigeria Unterricht gegeben zu haben!!! Ich schlucke meine Euphorie mal eben runter und berichte möglichst neutral. Am Anfang der Woche ließen wir verheißen, dass wir am Samstag um 9:00Uhr mit dem Unterricht beginnen wollen. Was keiner wusste: ich wollte erst um 10:00Uhr beginnen, beachtete aber natürlich die afrikanische Stunde und somit trafen alle pünktlich um 10:00Uhr ein – haha genatzt! Zu meiner Zufriedenheit konnte ich feststellen, dass sowohl der Raum von Müll und Bauschutt befreit war, als auch unsere zuvor bestellten Tische und Bänke fertig waren. Wir holten diese also ab, richteten uns das Klassenzimmer ein und ich trug alle zur Verfügung stehenden Lehrmaterialien zusammen. Am Morgen hatte ich noch schnell ein Dutzend Hefte für die Kids gekauft, als sich der Raum jedoch mit drei Dutzend Kindern füllte, traute ich meinen Augen kaum und wurde leicht nervös. Ich hatte mir die ganze Woche über Gedanken darum gemacht, wie ich mich auf das Ungewisse vorbereiten könne. Da ich aber mittlerweile gelernt habe, dass man sich hier auf nichts Vorbereiten kann, weil eh immer alles anders kommt, traf ich die Entscheidung, das zu tun, was ich am besten kann: improvisieren. Dies sollte sich bewahrheiten.

Knapp 40 Kinder, schreiende Babys, diskutierende Erwachsende .. mir ging bereits nach ca. einer Minute alles tierisch auf die Nerven, ich pfiff laut und ergriff das Wort. Zuerst schmiss ich alles aus dem Raum, was noch nicht oder nicht mehr zur Schule geht. Meine Schüler waren plötzlich still, erhoben sich und wünschten mir im Chor einen guten Morgen. Ich ließ es mir natürlich nicht anmerken, aber ich war extrem überrascht, dass das tatsächlich so einfach klappte. Es blieben also drei Lehrer, meine Wenigkeit und zwei Frauen, die mir auch in Zukunft beim Übersetzen helfen, und 34 Schüler. Der erste Tag sollte dazu bestimmt sein, sich kennenzulernen und das Niveau der Kids einzuschätzen. Nach einigen Spielen und Übungen zum englischen Alphabet und dem Einmaleins bemerkte ich schnell, dass ich es mit einer sehr heterogenen Gruppe zu tun habe, was nicht nur an den Altersunterschieden lag, sondern vielmehr an gravierenden Leistungsdifferenzen einiger bildungsferner Kinder. Von 10:00-12:00Uhr und 13:00-15:00Uhr machten wir also in insgesamt vier Stunden zwei, den Umständen entsprechend, sehr produktive Einheiten. Danach gab es Essen, ein kleines Fußballspiel mit den Kids und eine gepflegte Runde afrikanisches Mau-mau mit den Älteren. Gegen 17:00Uhr traten wir die Heimreise nach Owerri an und ich war fix und alle.

Noch am gleichen Abend wollte ich mir ein Modell einfallen lassen, was die Sache für alle Beteiligten weitaus angenehmer machen sollte. Der erste Schritt muss natürlich die Heterogenität abfangen, also informierte ich alle darüber, dass wir die Klasse ab jetzt spalten. Das nigerianische Bildungssystem orientiert sich an dem 6-3-3-4-System (Primary, Junior Secondary, Senior Secondary und University). Die meisten der Kids sind in der Primary School (Grundschule), die ältesten erst in der zweiten Stufe der Junior Secondary School (etwa wie die Orientierungsstufen 5, 6 und 7 der Sekundarstufe 1). Ich teile also einfach in der Mitte, was bedeutet, dass es nächsten Samstag eine Einheit von 10:00-12:00Uhr für die Stufen 1-4 und eine von 12:00-15Uhr für die Stufen 5-8 geben wird. Ab der Woche danach wird es eine tägliche Hausaufgabenbetreuung von 14:00-15:00Uhr für Schüler der Primary School geben, da diese bereits um 13:00Uhr Schulschluss haben. Die Secondary School geht bis 16:00Uhr, hier kann jede/r selbst entscheiden, ob sie oder er auch unter der Woche meine Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Grundsätzlich stehe ich aber jedem zu jeder Zeit zur Verfügung.

So ist der Plan. Ob’s funktioniert, bleibt abzuwarten. Es sollte das Ganze aber um einiges stressfreier machen.

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Heute sollte es mich über die Grenzen des Imo State hinaus nach Anambra State, in das kleine Dorf Ihiala, führen. Hier betrat ich, Yannick Lux, überzeugter Atheist seit dem Austritt aus dem Religionsunterricht in der 8. Klasse, tatsächlich die heiligen Hallen der Christen in Form der unfassbar beeindruckenden Kirche des Reverant Malachy, guter Freund von Filicia & Familie. Versteht mich nicht falsch, ich hege sowohl Toleranz und Respekt gegenüber der Religion und dem Glauben eines jeden, als auch geradezu Bewunderung für die unglaubliche Stärke, die es Menschen verleihen kann. Ich beziehe meine Stärken allerdings aus anderen Dingen und kann mich mit dem Übernatürlichen nicht identifizieren. In unserer Welt ist das ganz normal, da es uns gut geht. Die Entchristlichung in westlichen Ländern ist damit in meinen Augen einfach erklärt. Hier ist das etwas anders. Für viele Menschen ist das Festhalten an einen Gott das Einzige, was sie überleben lässt, wenn es nichts anderes mehr gibt, was ihnen sonst Halt geben könnte.

Genug dazu, lasst mich euch meinen Tag schildern. Wir, Chimezie, ein Freund, der uns netterweise für Wenig Geld fuhr und ich, betraten also diese riesige Kirche. Gleich fiel mir auf, dass es das absolute Gegenteil einer deutschen Kirche darstellte. Alles war bunt und laut. Es wurde zusammen gesungen und gelacht. Zwischen den imposanten Predigten begleitete eine Band mit Gitarre, Bass und Schlagzeug den Kirchenchor, der nicht etwa mittelalterliche, monotone Gesänge von sich gab, sondern mit modernen Adaptionen zu unterhalten wusste. Wir setzten uns in eine der hinteren Reihen und es dauerte ca. eine Minute, bis die stille Post auch die vorderste Reihe, die ca. 30m vor unserer lag, dazu brachte, sich zu mir umzudrehen. Zunächst war alles gut, denn ich ging weder in Flammen auf, noch hatte ich Schwierigkeiten, dass Wort „Amen“ auszusprechen, um mich nicht sofort als Ungläubigen zu outen. Nach 1 ½ Stunden war der Gottesdienst vorbei und ich muss zugeben, dass ich froh darüber bin, diese interessante Erfahrung gemacht haben zu dürfen.

Dann wurde mir das Privileg zuteil, den Reverant in das Wohnhaus zu begleiten. Es war ein sehr prunkvolles und das mit Abstand modernste Anwesen, in dem ich hier bis jetzt zu Gast sein durfte. Sir Malachy, der hier mit fünf weiteren Priestern wohnt, ist insgesamt ein etwas abgehobener, aber überaus gastfreundlicher und hilfsbereiter Typ. Wir unterhielten uns bei einem Guiness, um 12:00Uhr mittags wohlgemerkt, über das Projekt, Schulsysteme und einige Städte Deutschlands, die er selbst bereits bereist hatte. Er machte mir sogar das Angebot, in Nigeria zu bleiben und als Lehrer für gutes Geld in der Secondary School der Kirche zu arbeiten, aber immer mit der Ruhe! Nach etwa zwei Stunden überreichte ich ihm noch einen kleinen Präsentkorb, wir tauschten Nummern aus und ich wurde zu zahlreichen Events eingeladen. Gestaltet die Kirche in Deutschland so und ihr würdet euch wundern, wie sich auch dort die christlichen Hallen wieder füllen würden!

Ein wirklich sehr interessanter Tag und insgesamt ein geiles Wochenende!

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Tag 17

Nov 152018

Heute wäre Tag Nummer 3 ohne Post gewesen und zack, gabs heute Morgen eine ordentliche Portion Strom. Na ein Glück, dass ich mein Versprechen wieder mal halten kann!

Die letzten drei Tage waren sehr turbulent und es hat sich einiges getan (nicht so viel, wie ich gerne hätte, aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert). Ich werde daher einfach mal grob zusammenfassen, was passiert war und nicht auf jeden Marktbesuch einzeln eingehen, denn davon habe ich drei bis fünf täglich.

Im letzten Post hatte ich bereits angedeutet, dass das mit der Beschaffung der Materialien hier alles nicht so einfach ist – und da wir bei null anfangen, müssen wir logischerweise eine ganze Menge besorgen. Dies sollte die letzten Tage immer wieder eine echte Hürde darstellen, da der Kram einerseits einfach zu teuer ist und uns andererseits zurzeit weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, als gedacht, nämlich gar keine. Das ist übrigens auch der Grund, wieso wir mal wieder einen Baustopp ausrufen mussten, was natürlich unfassbar frustrierend ist. Gestern war allerdings ein sehr produktiver Tag und schließlich konnten wir alles, was wir für den Unterrichtsstart am Samstag brauchen, entweder kaufen oder zu – hoffentlich – Freitag bestellen.

Zu diesen Querelen kam noch hinzu, dass durch das Fehlen von Geld die Gemüter vor Ort ein wenig erhitzten. Das führte wiederum dazu, dass es ein paar hitzige Diskussionen über Dinge gab, mit denen ich einfach nicht einverstanden war. So gab es besonders im Zeit- und Geldmanagement große Diskrepanzen, die ich ansprechen wollte und auch getan habe. Wir konnten aber an allem arbeiten und gute Kompromisse finden, deren Umsetzung ich bereits heute gespürt habe. Ebenso finde ich nicht okay, dass die Leute hier ständig alles für mich bezahlen wollen. Die Gastfreundschaft in allen Ehren, aber ich möchte nicht einsehen, dass Leute aus tiefster Armut Tag für Tag das Essen für mich bezahlen und selbst vor einem leeren Tisch sitzen. Auch das hat sich seit heute geändert und ich bin mir ziemlich sicher, dass eigentlich alle damit einverstanden sind, wenn ich auch mal das Essen bezahle. Im Vergleich: in Deutschland gehe ich an manchen Tagen vor der Arbeit zum Bäcker, in der Mittagspause zum Imbiss um die Ecke, hole mir zwischenzeitlich noch einen Cappuccino und hole mir abends auch noch irgendwo einen Snack. Da sind gut und gerne mal um die 20Euro verpulvert, weil ich manchmal einfach gerne von der Hand in den Mund lebe. Vorhin habe ich Essen für acht Erwachsene und zehn Kinder gekauft. 'Nuff said!

Es kann sich natürlich nicht 24/7 alles um das Projekt drehen. Ich lerne also zwischenzeitlich dutzende neue Leute kennen, die immer Oma, Opa, Tante, Onkel, Mutter, Vater, Kinder oder sonstige Familienangehörige von irgendwem anders sind, dessen Namen ich leider längst wieder vergessen habe. Es sind einfach zu viele. Jeder will jedem den Onyeocha vorstellen, denn sehr viele hier haben zuvor wirklich noch nie einen weißen Menschen gehen. Jeder kennt jeden und hat extrem viel Liebe für alle über. Davon könnte sich so mancher Deutsche mal eine gehörige Scheibe abschneiden. Man erfährt hier Dinge nicht über Lästereien oder die Gerüchteküche, sondern im aufrichtigen Informationsaustausch miteinander, in dem das Interesse nicht nur geheuchelt wird. Auf die Frage "Wie geht's?" antwortet man nicht, wie bei uns, im Vorbeigehen mit der Gegenfrage "Wie geht's?", sondern man bleibt stehen und nimmt sich Zeit füreinander. Mir selbst wäre das wahrscheinlich auch zu viel des Guten, aber in der Mentalität der Leute hier ist jene aufrichtige Nächstenliebe einfach fest verankert. Darüber hinaus genieße ich es sehr, über die kleinen Pfade durch den Busch zu warten und neue Eindrücke zu sammeln. Außerdem fühlt es sich oft an wie eine Mischung zwischen Märchenwald und Indiana Jones Film. Eigentlich fehlt mir nur der Hut.

Was ist sonst so los? Naja .. ich verlasse morgens das Haus, begrüße die Omi von nebenan, die mich fragt, ob es mit meinem Magen schon besser ginge, gehe durchs Tor und hole mir ein Highfive von den Wächtern ab, gehe die Straße runter am Kiosk meines Vertrauens vorbei, wo mir die drei Verkäuferinnen beinahe im Chor guten Morgen wünschen und anfangen zu kichern, sobald ich ihnen den Rücken zukehre und rufe ein Taxi, was ich mittlerweile genauso gut im Voraus bezahlen könnte, da ich die gängigen Preise bereits verinnerlicht habe. Man könnte also meinen, ich wäre ganz gut hier angekommen. Einziger Ausreißer war die Taxifahrt heute früh ins Dorf, da dem Taxifahrer doch leicht die Kontrolle über das Auto flöten ging, nachdem uns auf der Schnellstraße mal eben die Hinterachse um die Ohren flog. Viele werden es nicht nachvollziehen können, aber ich finde es nach wie vor absolut geil, mich hier im Verkehr fortzubewegen.

Die Mädels aus der Nachbarschaft:

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Eine Sache möchte ich noch loswerden. Die Zahl der Leser dieses Blogs beläuft sich mittlerweile auf um die 100 und ich bekomme beinahe täglich positives Feedback. Mit solchen Ausmaßen hatte ich zuvor nicht gerechnet, was mich natürlich sehr rührt und auch stolz macht. Ich hoffe, ich kann euch mit meinen Eindrücken etwas erreichen und den ein oder anderen sogar dazu bewegen, Teil von diesem unglaublichen Projekt zu werden, dessen Potential ebenso unerschöpflich ist, wie unsere Filicia. Vielen Dank an alle!

Lieben Gruß

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