Yannicks Blog

Tag 14

Nov 122018

Gestern war Ruhetag. Wir wollten eigentlich alle zusammen die Kirche besuchen, da sich Chimezie aber leider nicht sehr gut fühlte, blieben wir im Haus und schmiedeten weiter unsere Pläne für heute, denn heute begannen wir mit der eigentlichen Arbeit.

Wie wird diese die nächsten knapp zwei Monate aussehen? Ich habe bisher wenig darüber verloren, wieso ich eigentlich hier bin. Es geht primär um den Innenausbau des Klassenzimmers, das den mit Abstand größten Raum des Hauses darstellt, und die Beschaffung aller nötigen Materialien. Ich werde den Jungs hier nicht viel dabei helfen können, den Bau fertigzustellen, aber wie Klassenzimmer und Unterricht auszusehen haben, davon versteh‘ ich ‘ne Menge. Sobald das Zimmer also annähernd unterrichtsfähig ist, werde ich für die Kids eine Art Nachhilfe/ Hausaufgabenbetreuung am Wochenende einführen. Damit diese auch weitergeführt werden kann, wenn ich nicht mehr da bin, bereite ich die älteren an den Werkstagen, während die Kinder ja in der Schule sind, so gut es geht darauf vor, dies zu tun. Es soll ein Raum der Kreativität und der Bildung geschaffen werden, in dem für die persönliche Entwicklung eines jeden etwas dabei ist. Mein Fokus fällt hauptsächlich auf Englisch und EDV, aber da ich auch Sport studiere, werden wir diesen natürlich auch zusammen treiben und über den menschlichen Körper und Gesundheit sprechen. Das ist natürlich ´ne Menge Holz für eine so kurze Zeit und mir ist bewusst, dass mir von einigen Utopie unterstellt wird, ich zeige mich hingegen optimistisch.

Ada besuchte uns heute Morgen wieder einmal und wir frühstückten zusammen, was hieß, dass sie das Mittagessen vorkochte, während ich genüsslich mein Brot mit Rührei und Tee verschlang. Chime war bereits aus dem Haus. Anschließend sind wir zum Shoprite, da ich einiges zu erledigen hatte. Allem voran musste ich zur Apotheke, da es mir seit ca. einer Woche ziemlich dreckig geht und ich die Malaria-Prophylaxe verdächtige (die Pillen sind der Teufel), also wollte ich auf ein anderes Medikament umsteigen. Zu Hause angekommen, informierte mich mein Hausarzt in Spe dann darüber, dass das neue Mittel exakt die gleichen Inhaltsstoffe hat, wie mein aktuelles. Nach dem Mittagessen fuhren wir also erneut zu Shoprite und ich zeigte dem Apotheker mal, wo der deutsche Frosch die Locken hat. Er hatte dann plötzlich doch mein zuvor gewünschtes Mittel, was lediglich ein Bruchteil des Vorherigen kostete (aha).

Mittlerweile traf auch Chime dort ein und wir machten uns auf den Weg über die Märkte, um Preise für Materialien einzuholen. Dabei geht es zunächst um Holz, Nägel und Hammer für Bänke und Tische, Tafel und andere Basics. Dann schnappten wir uns ein Taxi und fuhren ins Dorf, um den Raum zu vermessen. Zuvor musste ich mir etwas einfallen lassen, um die Kids abzulenken, damit wir in Ruhe arbeiten konnten. Ich erfüllte ihnen also einen Herzenswunsch in Form eines Fußballs, den ich zuvor besorgt hatte und schon war nichts mehr von ihnen zu sehen. Ein paar Telefonate weiter hatten wir gute Angebote für die Sachen und morgen werden wir dann hoffentlich alles Eintreiben können. Ihr seht schon, hier gibt es keinen Baumarkt, wo man mal eben hinfahren kann. Besonders Holz ist in Nigeria teuer und schwer zu bekommen und man muss immer aufpassen, nicht über den Tisch gezogen zu werden.

Als alles geklärt war, aßen wir noch eine Kleinigkeit mit den Arbeitern, die seit Samstag übrigens das gesamte Fundament inklusive Aushebungen – von Hand – für den Rest der Mauer gelegt haben. Die Jungs klotzen wirklich rein und ich bin sehr beeindruckt. Schon rief mein Leibwächter mich zum Auto und wir machten uns auf den Weg. Wir haben es auf eine Wache reduziert, da alles andere übertrieben wäre, aber würdet ihr diesen Bären mit seiner Machete und Peitsche sehen, wärt ihr auch beruhigt.

Hier noch ein paar Bilder vom zukünftigen Klassenzimmer.

Rechts die Eingangstür, links geht es zum hinteren Teil:

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Vom hinteren Teil Richtung Eingangstür:

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Tag 12 - Die Ankunft im Dorf

Nov 102018

Ich habe gerade enorme Schwierigkeiten, einen Anfang für diesen Tag zu finden, denn es war womöglich der aufregendste neben dem meiner Geburt. Meine Gedanken sind überall, mein Herz ebenso gebrochen, wie erfüllt mit Liebe. Die Eindrücke, die ich heute im Dorf machen durfte, sind schwer in Worte zu fassen, aber ich werde mich sammeln und es versuchen. Beginnen wir chronologisch.

Mittlerweile habe ich für mich die „afrikanische Stunde“ eingeführt, denn das ist die Zeit, die der durchschnittliche Afrikaner mindestens zu spät kommt. Damit kann man immer rechnen und verinnerlicht man diese, macht sie einem das Leben hier um einiges angenehmer. Der Plan war, heute Morgen um 8:00Uhr aufzubrechen. Ich stand also um Punkt 8:00Uhr auf, duschte in Ruhe, machte mir Frühstück und siehe da, kurz nach 9:00Uhr stand Chimezie hier und holte mich ab. Die afrikanische Stunde funktioniert einfach.

Um ins Dorf zu gelangen, brauchten wir zwei Taxis und eine gute Stunde Fahrtzeit. Die Aufregung versuchte ich mit dem Genuss des Ausblicks über den Busch zu unterdrücken, was aber nur bedingt funktionierte. Sie hatte sich über die letzten Tage und sogar Wochen immer weiter aufgebaut, denn jeder in meinem Umfeld redete auf mich ein und versuchte mir zu erklären, was mich erwarten würde. Der einzige, der nie ein Wort darüber verlor, war Chemi, denn der sagte immer nur „you will use your own eyes to witness“ (in etwa: du wirst es mit eigenen Augen sehen). Ich ging dennoch verschiedene Szenarien in meinem Kopf durch und zwischendurch fragte ich mich auch, ob ich denn überhaupt mit dem umgehen könne, was mich erwartet. In der Regel fing ich mich aber schnell und blockte jegliche solcher Fragen selbst ab mit „oohhhh armes 1. Welt Kind, kann die Armut anderer wohl nicht ertragen“.

Mitten auf der Schnellstraße zogen wir bei 100 Sachen plötzlich in den Gegenverkehr, machten für etwa einen Kilometer den Geisterfahrer und bogen links in einen Feldweg ein – die Tatsache, dass mich das kaum tangierte, zeigt schon, wie sehr ich mich bereits an den Verkehr gewöhnt habe. Das war es also, Awo-Omamma, Geburtsort unserer Filicia aus Borghorst, der Ursprung unseres Projekts. Bevor wir zum Projekt fuhren, machten wir einen kleinen Zwischenstopp bei Chimezies Elternhaus. Dass der Unterschied zur Stadt so gewaltig ist, hätte ich im Leben nicht gedacht. Ich stieg aus dem Taxi und merkte gleich, dass niemand seinen Augen trauen wollte. Während ich Chimes Mutter kennenlernte und eine Führung durchs Haus bekam, merkte ich, dass sich vor der Tür immer mehr Menschen versammelten. Als ich das Haus wieder verließ, standen ca. 30 Kinder aus unmittelbarer Nachbarschaft mit verdutzten Augen vor mir. Als ich einen Schritt auf sie zu machte, wichen einige drei Schritte zurück, andere fingen sogar an zu weinen. Die Situation forderte jemanden, der den ersten Schritt machte. Dieser erfolgte von einem kleinen Jungen, der so gerade laufen konnte. Er kam auf mich zu, ich ging auf die Knie und er stolperte mir in die Arme. Somit war das Eis gebrochen und die gesamte Meute rannte auf mich zu und sprang mir wortwörtlich in die Arme. In kurzer Zeit sprach sich die Ankunft des Onyeocha schnell rum und es kamen immer mehr Kinder. Gott, so viele Kinder! Die Leute hier müssen den ganzen Tag nichts anderen machen, als Kinder zu zeugen. Bevor ich jeden begrüßen konnte, machten wir uns aber auch schon wieder auf, um endlich zum Projekt zu gelangen. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich von drei Wachmännern begleitet, die dafür Sorgen sollten, dass keine komischen Dinge passieren.

Chimezies Elternhaus:

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Wir fuhren einen weiteren Feldweg hinunter und eine ganz Zeit war links und rechts nichts weiter zu sehen, als Busch. Dann schaute ich nach rechts und da war es, dieses unglaublich imposante Haus, was ich sonst nur von Bildern kannte. Ich stieg aus dem Auto und erneut kam eine riesen Meute von Kindern auf mich zu gerannt. Anders, als bei denen zuvor, wurde ich von diesen praktisch überrannt, bis ich auf dem Boden lag und alle auf mich drauflagen. Jedes der ca. 20-25 Kinder wollte meine Haut berühren und würde nicht mehr von meiner Seite weichen. Nach und nach lernte ich dann die größeren Kinder, die Muttis und schließlich auch die Arbeiter kennen, die zurzeit fleißig an der Mauer arbeiten, die das Anwesen umranden soll. Viele der Kinder sind Waisen, die meisten der Frauen Witwen. Ich bekam zunächst eine Führung über das Gelände und ich besichtigte stolz Brunnen, Generator, Küche und natürlich das Haupthaus. Während der gesamten Zeit konnte ich mich kaum fortbewegen, da die Kinder immer noch an mir hingen. Auf dem Weg flüsterten sie mir zu „kannst du mir Fußballschuhe besorgen?“, „ich möchte gerne Fahrrad fahren“ oder „nimmst du mich mit nach Europa?“. Es dauerte nicht lange, da wurde aus der anfänglichen Euphorie knallharte Realität und ich bemerkte, in welch unfassbarer Armut die Menschen dort leben. Es fühlte sich noch mal ganz anders an, als Lagos oder Owerri, denn auch, wenn ich es nicht für möglich gehalten hätte, haben die Leute dort noch mal weniger, was dann wohl nichts wäre. Ich schluckte ein paar Mal heftig und setzte mein Lächeln wieder auf, denn die Stimmung war phänomenal.

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undefined Ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus und nachdem ich alle für die gute Arbeit beglückwünschte, verteilte ich ein paar Geschenke an die Kids. Jeder bekam Stifte und ein Heft. Das klingt erstmal nicht nach viel, bedeutete für die Kleinen aber die Welt. Zudem landeten wir dort mit riesigen Mengen an Essen sowohl für heute, als auch für die nächsten Wochen. Es wurden Interviews geführt, Hände geschüttelt und Fotos geschossen. Filicia engagierte zuvor extra eine Fotografin, die alles permanent mit Foto- und Videokamera begleitete (das Material werde auch ich bekommen und bei Bedarf kann ich es an euch weiterleiten). Währenddessen hatten ein paar der Frauen ein Buffet der Extraklasse aufgebaut, welches kurze Zeit später auch eröffnet wurde. Die ausgehungerten Kinder konnten es kaum erwarten und wir einigten uns darauf, dass diese sich zuerst den Magen vollschlagen durften. Da eh genug für alle da war, war das kein Problem.

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Nach dem Essen versuchte ich, mit jedem der Anwesenden zumindest ein kurzes Gespräch geführt zu haben. Jeder hatte extrem viel Liebe für mich über und hieß mich willkommen. Ein paar komische Situationen waren auch dabei, als Personen mich fragten, ob ich für sie nicht auch was dabei hätte, etwa ein Geschenk oder gar ein bisschen Geld. Ich musste ihnen also irgendwie klar machen, dass ich nicht auf jedes individuelle Bedürfnis einzeln eingehen kann. Das Projekt betreut nur eine bestimmte Anzahl von Personen und da heute eine Art „Tag der offenen Tür“ war, war diese natürlich um ein Vielfaches höher. Sie verstanden, dass ich nicht für ganz Nigeria sorgen kann, waren insgeheim aber wohl etwas enttäuscht, dass die Deutschen nur so einen armen Schlucker von Studenten schickten und der große Geldregen des weißen Mannes ausblieb. Mir selbst tat es unendlich leid, dass einige auf der Strecke blieben, aber das gehört wohl leider dazu. Es sind einfach zu viele.

Nach einer langen Verabschiedungstour schnappten wir uns die Wachmänner, die eigentlich nicht viel zu tun hatten und die Zeit damit verbrachten, sich das ein oder andere Bierchen zu trinken, und machten uns auf den Heimweg. Auf diesem lag das Imo-State Community Hospital und da die Frau von einem der Wachmänner kürzlich per Kaiserschnitt seine Tochter zur Welt brachte, statteten wir denen noch einen kleinen Besuch ab. Das noch mitzunehmen war natürlich wieder mal ein wahnsinniges Erlebnis und verdeutlichte mir erneut, wie nah ich hier an dem Leben der Leute bin und wie sehr mich die Leute in ihren Kreisen akzeptieren.

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Nachdem ich also allen gratulierte fuhren wir schließlich los. Noch im Auto versuchte ich den Tag zu reflektieren, scheiterte aber schon bei den Ansätzen und auch jetzt, nachdem ich all das geschrieben habe, komme ich immer noch nicht ganz darauf klar. Ich habe vieles ausgelassen, weil das hier erstens alles nicht ganz so theatralisch klingen soll und ich zweitens keinen Roman schreiben möchte.

Ich habe heute eine Menge Elend gesehen, kann aber jetzt beruhigt schlafen, wo ich doch im Internetradio so höre, wie Trump und Macron Milliardensummen für NATO und eine „europäische Armee“ (What the fuck?) verpulvern wollen. Na immerhin hat Dortmund gewonnen.

Tag 10 & 11

Nov 092018

Eigentlich bin ich tot müde und mein Akku geht gleich aus, aber lasst mich euch eben noch von meinem gestrigen Ausflug auf den Wochenmarkt erzählen, denn was da abging, war der pure Wahnsinn.

Wir, Ada und meine Wenigkeit, nahmen also wie gewohnt ein klappriges Taxi und ich verlies zum ersten Mal meine bis dato bekannte Zone. Der Plan war, die letzten Besorgungen für meine Ankunft im Dorf zu tätigen, da unter anderem auch groß gekocht werden soll. So wurde auch ich endlich mal Zeuge der berüchtigten Verkehrsprobleme in Owerri und kann nun besser nachvollziehen, wieso Ada und Chimezie immer so viel zu spät kamen, wenn man sich verabredet hatte. Wir steuerten auf eine riesige Kreuzung zu, auf welcher die Situation mit dem Wort Chaos lange nicht mehr zu beschreiben war. Wie immer suchte man Ampel, Schilder oder Verkehrspolizei vergebens und jeder fuhr ohne Sinn und Verstand auf diese Kreuzung zu. Schnell steckte alles fest, ein Bus knallte hinten in uns rein, wir selbst verpassten dem Taxi neben uns eine weitere Delle in seiner Sammlung mit unserem Außenspiegel. Die Gemüter kochten über, wie auch die Kühlflüssigkeit in den Autos. Gut eine halbe bis dreiviertel Stunde ging gar nichts mehr, bis das kollektive „1mm vor, 1mm zurück, 1mm vor…“ die nötigen Freiräume schufen und sich die ersten Autos lösen konnte. Ich denke, diese Szenerie wiederholt sich so ca. 200-300 Mal am Tag.

Naja, endlich am Markt angekommen, traute ich meinen Augen kaum. Ein riesiger Acker mitten in der Stadt mit Boden bestehend aus Schlamm und Pfützen, gezeichnet von den letzten Ausläufern der Regenzeit. Auf alten Plastikplanen breiteten die Händler, hauptsächlich Muttis der älteren Generation, ihr Obst und Gemüse aus und warteten auf umgedrehten Eimern unter den großen Sonnenschirmen auf den nächsten Käufer. „Cook it, boil it, peel it or forget it“ (Deutsch: koch es, brat es, schäl es oder vergiss es) heißt nicht umsonst das Motto, denn die Lebensmittel liegen hier gerne mal im Dreck.

Als ich den ersten Schritt aus dem Taxi auf das Gelände wagte, begab ich mich in eine der wohl stressigsten Situationen meines bisherigen Aufenthalts. Die ersten Verkäufer nahmen mich wahr und es ging los: „ONYEOCHA ONYEOCHA“ (onyeocha = weißer Mann). Innerhalb von Sekunden wurden alle auf mich Aufmerksam und schrien mir förmlich zu, ich solle zu ihren Ständen kommen, da nur sie die besten und günstigsten Lebensmittel hätten. Ada kannte sich gut aus, ging zu ihren gewohnten Ständen und schliff mich hinterher. Ich drehte mich praktisch im Kreis, da von allen Seiten auf mich eingeredet wurde und ich irgendwann nicht mehr wusste, wo oben und unten ist. Adas Freunde schenkten mir an ihren Ständen Essen, verlangten aber gleichzeitig eine kleine Spende, habe also quasi doch für das Essen bezahlt. Die Frauen befummelten meine Haare, denn sie konnten kaum glauben, dass das meine echten wahren. Alle zwei Meter fragte mich eine andere Verkäuferin, ob ich nicht ihre Tochter, oder am besten doch gleich sie selbst, heiraten wolle. Da sich mein Gehirn längst in einer Art Overflow Error befand, nickte ich irgendwann nur noch dämlich und bemühte mich, weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Nach gut zwei Stunden Markt, diese halte ich für gewöhnlich nicht einmal auf deutschen Märkten aus, waren wir mit den Besorgungen für Samstag durch. Tonnenweise Reis, Bohnen, Obst und Gemüse, aber auch Säcke voll mit Heften, Collegeblöcken und Stiften für die Kids machten sich mit uns auf den Rückweg. Unser Taxi fuhr bereits los, da liefen die Leute noch am Fenster neben dem Auto her und versuchten, mir doch noch schnell etwas anzudrehen. Selbst durch geschlossene Türe hörte ich die Rufe noch: „Onyeocha, onyeocha!“. Auf dem Heimweg reflektierte ich das Geschehen und es stellte sich für mich natürlich die Frage, was in Deutschland passieren würde, wenn ich einer dunkelhäutigen, männlichen Person „Schwarzer Mann, schwarzer Mann“ ins Gesicht schreien würde. Irgendwie ein durchaus witziger Gedanke. Ich hatte das Wort vorher schon Kinder benutzen hören, die mich auf der Straße grüßten und mich willkommen hießen, fand es bis dahin immer sehr reizend, fast schon eine Art Willkommensgruß. Dass das Wort auch für die Leute auf dem Markt eher positiv konnotiert war, ist für mich gar keine Frage. Dennoch war es für meinen Geschmack doch etwas too much, wobei ich nie auf die Idee kommen würde, jemandem hier so etwas wie Diskriminierung zu unterstellen. Ich speichere es einfach ab unter der Kategorie „andere Länder, andere Sitten“. Unterm Strich war es ein bizarrer, aber sehr geiler Tag mit vielen neuen Eindrücken. Beim nächsten Mal weiß ich, was mich erwartet, und ich werde wohl um Längen besser damit umgehen können.

 

Heute haben wir uns sortiert, einen Plan für das Wochenende und die kommende Woche gemacht und ab morgen wird dann endlich durchgestartet. Ich bin unfassbar gespannt, was mich erwartet und wie sich unser Projekt über die nächsten knapp zwei Monate über entwickeln wird. 

 

P.S.: Wir brauchen Kohle! Ich habe eine Seite "Spenden" eingerichtet, in der ihr nachlesen könnt, wie ihr uns JETZT unterstützen könnt. Von jedem Cent mehr kann ich hier losgehen und neue Schulmaterialien kaufen, ist das nicht sau cool?

Tage 8 & 9

Nov 082018

Ndewo! Kedu ka i mere? O di nma. (Hallo! Wie geht es dir? Mir geht es gut.)
Natürlich versuche ich in meiner Zeit im Hoheitsgebiet der „Igbo-People“, Imo-State, in dem die Sprache „Igbo“ gesprochen wird, so viel es geht von dieser aufzuschnappen. Ich würde mir durchaus eine gewisse Affinität zu Sprachen zuschreiben, habe an Igbo aber echt zu knacken. Sie unterscheidet sich in Phonologie und Phonetik immens vom Deutschen, meist machen oft kleine Bewegungen des Mundes den ganz großen Unterschied. Bis jetzt fühlte ich mich eigentlich bei den indogermanischen Sprachen beheimatet, aber werde mein Bestes geben, auch hier einen Anschluss zu finden.

Der Tag vorgestern war lediglich geprägt von Kleinigkeiten, die wir zu erledigen hatten. Aber eine Sache ist es absolut wert, erwähnt zu werden: SHOPRITE! Da steckt man mitten in einer Provinz im tiefsten Nigeria und denkt an nichts Böses, da steht man plötzlich vor einem riesigen Klotz von Einkaufszentrum, aufgezogen nach US-amerikanischem Vorbild. Durch die Pforten geschritten, fühlte ich mich drei Jahre zurückversetzt, als ich eine hiesige Mall in Chicago betrat. Ich konnte auf den ersten Blick keinen Unterschied erkennen, dann war es plötzlich völlig klar: es passt hier einfach nicht hin. Für mich mag es ein Stück von zu Hause darstellen, eine Möglichkeit, Dinge einzukaufen, die ich auch in Deutschland beim Lidl um die Ecke finde. Für die Leute hier ist es schlichtweg zu teuer, was sich sicherlich in den Besucherzahlen des Einkaufzentrums wiederspiegelt – es ist nämlich nichts los. Etwas Positives scheint es allerdings doch zu haben, denn es scheint enorm viele Arbeitsplätze zu schaffen und ein Besuch stellt oft ein richtiges Highlight da, aus dem auch gerne mal ein Ausflug für die ganze Familie gemacht wird.

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So kaufte ich Dinge, auf die ich auch hier im Haushalt nicht verzichten mag, wie beispielsweise Toilettenpapier, Spüli, Waschmittel etc. Abends lernte ich mehr von den Nachbarn kennen und brachte den Wachmännern, die Nacht für Nacht vor unserem Haus stehen, ein kühles Bierchen und machte sie damit kurzzeitig wohl zu den glücklichsten Männern der Stadt. Die Nachbarn sind im Allgemeinen sehr ruhige Leute, von denen man nicht viel mitbekommt. Sowohl Männer, als auch Frauen sind von morgens früh bis abends spät am Arbeiten, so dass meist nur die Omis mit den Babys zurückbleiben. Wir ließen den Abend zu dritt, Chime und Ada waren dabei, ausklingen und es ging wie immer früh ins Bett.

Gestern Abend wollte ich eigentlich die neuen Einträge hochladen, da wir aber kaum Strom hatten, war mein Laptop nicht geladen und mir waren die Hände gebunden. Deswegen packe ich die letzten beiden Tage zusammen in diesen Eintrag. Ich werde versuchen, eine extra Seite „Owerri“ einzurichten mit Bildern aus der Nachbarschaft. Ab Samstag wird eine Seite „Awo-Omamma“ folgen mit Bildern aus dem Dorf und vor allem von unserem Projekt.


Seit gestern Morgen bin ich wieder einmal mit Magenproblemen geplagt. Da ich aber im Shoprite zuvor Brot, Tee & Co. kaufte, bin ich dieses Mal besser vorbereitet. Die Rettung wird nun fast täglich in Form von Ada erscheinen, die eine sensationelle Köchin ist und viel Wert auf gute Lebensmittel und ein gewisses Maß an Hygiene beim Kochen legt. Sie war zuvor frisch einkaufen und nachdem ich sie überzeugen konnte, dass es auch normal sein kann, wenn ein Mann in der Küche hilft, kochten wir Reis-Gemüse-Pfanne mit Plantain und Fisch. Das alles geschah auf dem Boden mit nur einer Flamme aus dem Gaskocher und ich lernte sogar, wie man den Fisch richtig ausnimmt. Diejenigen unter euch, die schon mal mit mir campen waren, wissen, dass das genau mein Ding ist. Es war tatsächlich das erste Mal, seitdem ich hier angekommen bin, dass ich mich richtig auf das Essen gefreut habe.

Die Küche zum Wilden Luxe: Nigeria Edition!

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So zauberten wir bei guten Gesprächen vor uns hin und ich bestaunte Adas Organisationstalent, was dem meinen weitaus überlegen war. Als wir fertig mit essen waren, beschlossen wir uns, ein weiteres Mal zu Shoprite zu fahren. Dieses Mal wollte ich Ada ein paar Schuhe kaufen, da die, die ich extra für sie mitgebrachte hatte, auf wundersame Weise verschwunden waren, was mir vorher jedoch nicht aufgefallen war. Wir schnappten uns also ein Taxi, das gewollt war, uns gegen einen kleinen Aufpreis zum Shoprite zu fahren. Der Aufpreis ist Standard, da die Straßen dorthin extrem schlecht sind und das Risiko groß ist, dass es den ohnehin schon komplett demolierten Autos ganz den Garaus macht. Man fährt hier generell mit einem sehr mulmigen Gefühl Auto, wenn man die ganzen Karren mit den gebrochenen Achsen und Feder oder qualmenden Motoren mitten auf der Straße stehen. Da man es aber aufgrund von Verkehr und Straßenzuständen eigentlich eh nie über 30km/h schafft, wird man wieder ruhiger.

Eine glückliche Ada:

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Schon wurde es wieder dunkel und wir mussten zusehen, dass wir vorm Schließen der Tore wieder im Haus waren. Euch fällt sicher auf, dass man hier am Tage kaum zu etwas kommt. Ein Ausflug zum Einkaufszentrum dauert dann schon mal gut und gerne vier bis fünf Stunden und es handelt sich dabei um eine Strecke von ca. 3km. Da muss man sich keine Sorgen machen, wie man seinen Tag füllen soll.

Tag 7

Nov 052018

Mittlerweile kann ich ganz gut nachvollziehen, wieso die Leute hier tagsüber so viele Nickerchen halten, denn ich kann mich dem mittlerweile auch nicht mehr entziehen. Der Körper ackert einfach permanent wie ein Irrer, um irgendwie mit der Luftfeuchtigkeit klarzukommen. Kennt ihr das, wenn es in Deutschland an manchen Sommertagen nicht mehr auszuhalten ist, weil es immer schwüler wird, bis das lang ersehnte Sommergewitter sich über uns entlädt? Packt da mal noch gut 20% mehr Luftfeuchtigkeit drauf und stellt euch vor, es wäre Dauerzustand. Es ist allgegenwärtig, ohne Ventilator, ohne Klimaanlage oder sonst irgendetwas, was dir Abhilfe verschafft.

Heute Morgen habe ich also endlich zum ersten Mal richtig das Haus verlassen. Wir liefen ein wenig durch die Nachbarschaft und besorgten Kleinigkeiten für unsere Wohnung. Dabei bemerkte ich, dass sich die Blicke der Anwohner irgendwie anders anfühlten, als die in Lagos. Sie waren zwar gleichermaßen herzlich und jeder hieß mich willkommen oder grüßte mich lieb, aber dennoch verzeichnete ich einen Touch mehr Skepsis, als würden sie mir mit ihren Blicken sagen wollen: „Alter, was willst du hier?“. Ich habe auch ein paar Bilder von der Umgebung gemacht, diese werden aber ein andermal folgen, da mein Datenvolumen beinahe ausgeschöpft ist und ich noch nicht wirklich dahinter gestiegen bin, wie das damit alles so genau funktioniert.

Wieder nach Hause, kurz gechillt und schon trieben uns unsere leeren Mägen wieder vor die Tür, da wurde es wieder witzig. Wir liefen zur Hauptstraße und Chime hielt eines von hunderten Taxis an, die scheinbar eh die ganze Zeit die Straße hoch- und runterpendelt. Wir hielten die Finger raus und fuhren quasi per Anhalter gut einen Kilometer die Straße hoch mit einem Auto, das mir mit sieben Insassen doch leicht überfüllt schien. An einer großen Kreuzung angekommen, fanden wir viele kleine Pavillons vor, von denen wir uns eins aussuchten und reinsetzten. Eine afrikanische Mutti fragte uns, was wir essen wollen und Chemi antwortete für mich mit, da ich offensichtlich die Gesamtsituation wieder mal nicht richtig verstand. Sie schnappte sich zwei Teller, öffnete ein paar der riesigen Töpfe, die hinter ihr standen und machte uns den Teller randvoll mit Reis, Bohnen, irgendwas Rotem und noch ein bisschen was von dem Grünen. Mein Magen fragte mich, was ich ihm denn da runterschicke, ich sagte ihm, er solle aufhören zu fragen.

Kurz noch ein wenig umgeguckt, stellten wir uns wieder an den Straßenrand, sprangen in das nächste Taxi und fuhren den Kilometer zurück. Nach einem kleinen Ausflug zur örtlichen Brauerei ging es dann wieder heimwärts. Ich lernte die Big Mama des Estates kennen, die mir netterweise jeden Morgen heißes Wasser für meinen Kaffee zur Verfügung stellt und dann kam noch Ada, die zweite von Chimes Schwester, auf einen Sprung vorbei und brachte uns netterweise Abendessen. Diese musste allerdings schnell wieder los, da es bereits kurz vor sieben war und die Wachmänner um punkt 7:00Uhr draußen die Tore schließen. Ab diesem Zeitpunkt wieder niemand, der nicht hier hingehört, mehr reingelassen. Bei dem Essen von Ada handelte es sich um ein sehr traditionelles Essen, was man mit den Händen zu sich nimmt. Es besteht aus eine Art Riesenknödel, von dem man sich aus kleinen Stücken Schippchen formt, mit denen man den spinatartigen Eintopf aus der Schüssel löffelt. Eigentlich sogar recht lecker.

Das war’s auch schon mit dem Tag. Keine Sorge, die Woche wird auch für mich noch von Tag zu Tag spannender werden, bis es dann am Samstag endlich damit losgeht, weswegen ich eigentlich hier bin.

Tag 6

Nov 042018

Ich lebe hier quasi nach der Sonne, was bedeutet, dass mein Tag um ca. 6:00Uhr beginnt, ich dafür abends aber auch dementsprechend früh schlafen gehe. Daran gewöhnt man sich – ja, auch als Student haha – recht schnell. Da ich gestern Abend keinen Bock mehr hatte, mich hier irgendwie einzurichten, verbrachte ich damit die erste Zeit des Tages, bis Chime mit dem Frühstück zurück war. Wir beschlossen, dass wir heute den Tag im Haus verbringen werden, um anzukommen, zu relaxen und einige Sachen zu organisieren. Heute ist eh Sonntag, da geht auch in Nigeria nicht viel.

So vegetierte ich den Tag bei 80% Luftfeuchtigkeit vor mich hin. Wir versahen die gespendeten Sachen mit Namenschildern, damit uns die Verteilung dieser bei der Ankunft im Dorf leichter fällt und besprachen, was noch alles zu besorgen ist, damit wir voll durchstarten können. Zum ersten Mal ins Dorf fahren werde ich übrigens am Samstag. Dies hat vielerlei Gründe. Zum Ersten sind die Kinder die Woche über bis 16:00Uhr in der Schule. Zum Zweiten werden wir tonnenweise Essen für die Party bei der Ankunft mitnehmen, was aber vorbestellt werden musste und erst Donnerstag geliefert werden kann. Zu guter Letzt gibt es hier eine Menge zu sehen und ich bin ja auch ein wenig touristisch unterwegs, werde mir also die Woche über allerhand Dinge in Owerri anschauen und mich vollkommen einleben.

Der Tag dümpelte so vor sich hin und schon kam der Abend. Was soll ich sagen? Kein wahnsinnig spannender Tag. Frühstück, Mittag- und Abendessen und dazwischen ein paar Kleinigkeiten. Dementsprechend hatte ich auch die Zeit, sowohl den Eintrag von Tag 5 nachzuholen, als auch den von heute sowie die Seite zur Unterkunft zu schreiben. Vor ca. einer Stunde ist der Strom angegangen und wir freuten uns, heute nicht im Dunkeln sitzen zu müssen. Dann zog allerdings ein ziemlich heftiges Gewitter auf und es schlug zwei Mal quasi direkt vor meinem Fenster in irgendwelche Masten ein, so dass der Strom direkt wieder ausfiel. In diesem Moment nutze ich also das letzte bisschen Akku meines Laptops, um den Eintrag für heute fertig zu schreiben. Wenn dieser sich dem Ende neigt, werde ich aber die frische Brise des Gewitters genießen und an meinen Orangen rumschlürfen.

Tag 5

Nov 042018

Was war gestern passiert? Für diesen Blog eigentlich kein wirklich spannender Tag, für mich aber überaus anstrengend. Als ich morgens gegen 8:00Uhr aufwachte und auf mein Handy blinzelte, hatte ich eine Nachricht von der Airline, dass mein Flug einfach mal von 15:40Uhr auf 13:20Uhr vorverlegt wurde. Da wir alles schon geplant hatten, musste wir jetzt natürlich fix umdenken und ich musste versuchen, alle involvierten Leute, sprich Fahrer, Ousama, Chimezie etc., zu erreichen. Bei den Netzausfällen hier war das gar nicht mal so easy, klappte aber dann doch noch ziemlich gut. Ich schmiss meine Klamotten in den Rucksack, frühstückte eine Kleinigkeit und verabschiedete die Leute inklusive einer kleinen Fotosession.

Ousama und seine drei Kinder:

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Chinyeres Söhne, Chikemeze und Ouzi:

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John, der Hausmeister:

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Wir schafften es pünktlich zum Flughafen, ich stand einigermaßen pünktlich am Gate und fieberte dem Flug entgegen, der mich zur nächsten Etappe meiner Reise bringen sollte. Eine Stunde verging, zwei Stunden vergingen .. keine Ansagen, keine Information. Das Gate, was sozusagen ein etwas größerer Busbahnhof war, füllte sich mehr und mehr mit Menschen der folgenden Flüge. Schnell waren wir bei gefühlten 100 Personen pro Quadratmeter und ich überwand mich, den etwas gestressten Mitarbeiter der Airline zu fragen, was denn los sei. Eine informative Antworte suchte ich allerdings vergebens. Ich entschloss mich dazu, mich zu entspannen und zu warten, was passiert. Von vorherigen Reisen bin ich bereits weitaus schlimmeres gewohnt, also akzeptierte ich die Situation.

Mittlerweile war es 15:00Uhr und es kam tatsächlich die Durchsage, dass mein Flug auf 16:40Uhr verschoben wurde. Ich nickte schon leicht weg, als um 15:30Uhr plötzlich das Boarding für meinen Flug begann. Es ging alles wahnsinnig schnell und wir saßen um 15:40Uhr, zur ursprünglich geplanten Abflugzeit wohlgemerkt, im Flieger. Mit einem Seufzer nahm ich es hin und mir fiel lediglich der Titel meines Lieblingsstückes von Shakespeare ein: Much ado about nothing (zu Deutsch: Viel Lärm um nichts).

Während des Fluges lies ich die Tage in Lagos Revue passieren und eine Sache brachte mich zum Nachdenken. Physisch habe ich meinen Körper jetzt wieder im Griff, psychisch wird es in den kommenden Tagen wohl anders aussehen, denn wenn das Elend in Lagos mich schon umhaut, wie wird es dann im Dorf sein, wo die Zustände nochmal um einiges schlechter sind? An dieser Aufgabe werde ich wohl wachsen müssen, denn dafür bin ich schließlich hier. Ich möchte die knallharte Realität erfahren und das wird bedeuteten, meiner Komfortzone endgültig den Rücken zu kehren. Es fühlt sich bereits jetzt so an, als würde hier das echte Leben stattfinden, als würde ich in Deutschland in einer Blase leben, in der mir nichts zustoßen kann, abgesichert vor allen Eventualitäten, die das Leben mit sich bringen kann. Ist da was dran? Oder ist es bloß die Dramaturgie, die aus mir spricht?

Als ich aus dem Flieger stieg, traute ich meinen Sinnen kaum. Die Luft frei von Smog, umgeben von riesigen Wäldern, so weit das Auge reicht, eine entspannte Atmosphäre ganz ohne den Stress des Großstadtdschungels. Hier ist das, was unsereiner sich unter dem Begriff „afrikanischer Busch“ vorstellt. Draußen wartete natürlich mein guter Freund und Begleiter Chimezie mit Fahrer auf mich. Wir fuhren durch Owerri zu der Unterkunft, in der wir die nächsten zwei Monate zusammen leben werden. Auf dem Weg dorthin blickte ich aus dem Fenster und bewunderte die Stadt. Sie ist sehr offen und weitläufig mit viel Platz für jeden. Fährt man einen Hügel hinauf, sieht man bis zum Horizont nichts als atemberaubenden Dschungel. Einige Teile der Stadt sind erstaunlich modern. Tankstellen, Supermärkte und Co. haben teilweise einen leicht amerikanischen Touch. Die Infrastruktur im Allgemeinen scheint sehr gepflegt zu sein, die Hauptstraßen haben größtenteils nicht einmal Schlaglöcher. Ich bin sehr beeindruckt.

Endlich waren wir angekommen in unserem bescheidenen Heim. Es war bereits ca. 20:00Uhr und ich am Ende meiner Kräfte. Eine kleine Führung durch die Unterkunft wird es auch geben, finden werdet ihr sie wieder in den Seiten unter „2. Unterkunft“.

Tag 4

Nov 022018

Nach dem Aufwachen heute um 6:00Uhr verabschiedete ich zunächst Chimezie, der bereits heute die Heimfahrt Richtung Owerri antritt, um alles für meine Unkunft vorzubereiten. Zwischenzeitlich hatte ich schon vergessen, dass der Aufenthalt in Lagos nur ein kurzer Zwischenstopp zum eigentlichen Ziel ist. Seit gestern Abend ist auch offiziell, dass ich morgen gegen 16:00Uhr den Flieger ins Dorf nehmen werde. Ich bin wahnsinnig nervös, da mich dort nochmal eine vollkommen andere Welt erwartet.

Da ich nach dem Aufstehen recht schnell bemerkte, dass mein Organismus zum ersten Mal ein wenig unter den veränderten Umständen leidet, entschloss ich mich, den Tag im Haus zu verbringen. Gesellschaft leistete mir der älteste Sohn von Chinyere, der in Chimezies Abwesenheit ein Auge auf mich werfen sollte. Gegen 8:00Uhr machte Chinyere uns Frühstück, diese meinte es jedoch sehr großzügig und kochte uns Reis mit Fisch und Plantain (siehe Foto). Aus Höflichkeit habe ich natürlich zugeschlagen, aber für jemanden, der normalerweise gar nicht frühstückt, war das schon recht heavy. Schnell merkte ich, dass das nicht gerade förderlich für die Situation war, in der sich mein Körper zu diesem Zeitpunkt befand, weswegen ich mich erstmal wieder hinlegte.

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Als es wieder ging, fragte ich John, den Hausmeister, nach einer kleinen Führung durch’s Anwesen und machte – auf Anfragen einiger Leser – ein paar Fotos. Diese findet ihr links in den Seiten unter „1. Unterkunft“. Anschließend schnappte ich mir John, um ein bisschen rumzuschlendern, ein paar Kleinigkeiten einzukaufen und mein Flugticket auszudrucken. Auf dem Weg durch die Straßen wurden wir von einem kleinen Jungen verfolgt, den ich irgendwann zu uns holte und in unseren kleinen Ausflug mit einbezog. Als wir so unsere Orange ausschlürften schaute er mich mit gezeichnetem Blick an und fragte mich, ob ich es ihm nicht möglich machen könnte, in einem Fußballverein zu spielen, am besten zusammen mit Christiano Ronaldo. Er wolle nicht mehr hier leben und hungern. Die Art und Weise rührte mich fast zu Tode und ich musste mich zusammenreißen, keine Träne zu verlieren. Was antwortet man in so einer Situation? Der Junge erwischte mich kalt und ich gab mein Bestes, ihm gut zuzusprechen und einen Funken Hoffnung zu versprühen. Ich nahm ihn in den Arm und versprach ihm, dass er eines Tages professionellen Fußball spielen wird und besser sein wird, als dieser arrogante Ronaldo. Seine Mundwinkel zogen sich nach oben, seine Augen glänzten vor Freude. Es zeigte mir, dass es nicht darum geht, zu versuchen, jedes Kind unverzüglich von Armut zu befreien, denn die Realisten unter uns wissen genau, dass das nicht geht. Es geht vielmehr darum, keine negativen Worte zu verlieren. Die Wortwahl so zu wählen, dass der Gegenüber abends eben nicht mit dem nur zu bekannten schlechten Gefühl ins Bett geht, sondern ihm jemand gesagt hat, dass er das schaffen kann; und zwar alles, was er sich vornimmt. Das ist nicht schwer und nimmt auch nicht viel Zeit oder sonstige Ressourcen in Anspruch. Eine Situation, die nicht viel länger, als eine Minute andauerte, mich aber für den Rest meines Lebens zeichnen wird. Eine Lektion, die mir in Owerri von großer Hilfe sein wird.

Als wir wieder im Haus ankamen, stellte ich mich schon beinahe darauf ein, den Abend in Ruhe ausklingen zu lassen, da ich ja den ganzen Tag mit gewissen Anpassungsschwierigkeiten meines Körpers zu kämpfen hatte. Dann kam allerdings Ousama nach Feierabend vorbei und fragte mich, ob ich nicht noch ein Bierchen mit ihm trinken wolle. Da es mir schon viel besser ging und ich eh den ganzen Tag im Haus verbrachte, sagte ich schnell zu. Wir schnappten uns John und setzten uns in eine Bar. Es war Freitagabend und auch hier geht man am Wochenende aus, also waren die Straßen voll und die Stimmung gut. Uns wurde traditionelle Live-Musik geboten (siehe Foto) und mir wurde sogar ein Ständchen gesungen – klar, es geht halt nicht ohne die volle Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Nach ca. zwei Stunden traten wir den Heimweg an und ich muss euch beichten, dass ich gerade ganz gut einen sitzen habe. Aber immerhin noch ein gebührender Abschluss für meinen letzten Abend in Lagos.

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Tag 3

Nov 012018

Eines kann ich euch sagen Freunde, ich habe in den letzten zwei Tagen mit Sicherheit mehr Obst gegessen, als im gesamten 21. Jahrhundert zusammen. Wofür wir in deutschen Supermärkten viel Geld bezahlen, um „Bio“ zu bekommen, ist hier absoluter Standard. Die Früchte kommen von den Plantagen außerhalb der Stadt jeden Tag frisch auf die Straßen und sorgen dafür, dass ich mich mehrmals täglich wie im Schlaraffenland fühle. Fünf bis zehn Orangen täglich gehen locker weg, dazu noch ein paar Bananen, Kokosnuss oder Ananas. Was das angeht, leben die Leute hier einfach wahnsinnig gesund. Chips oder Süßigkeiten sucht man vergebens, dafür aber frische, unbehandelte Erdnüsse und Cashews. Das bockt einfach total sag‘ ich euch!

Nachdem die letzte Nacht von Mücken und dröhnenden Lautsprechern der benachbarten Moschee durchzogen war, bin ich heute ein wenig verkalkt in den Tag gestartet. Es gibt aber keine noch so schlimme Nacht, die sich nicht mit einem guten Frühstück wettmachen lässt. Dafür war dank der wunderbaren Leute hier natürlich wieder mal gesorgt. Währenddessen hatte ich das Privileg, einen weiteren von Chimezies Brüdern, Augustin, kennenzulernen. Anschließend machten wir uns einen schönen, entspannten Morgen und ich fing langsam an, die gespendeten Computer einzurichten, was mir die Entscheidung, mein ehemaliges – sehr Informatik lastiges – Studium abzubrechen, einmal mehr bestätigte.

Als ich schlussendlich genug hatte, entschieden wir uns, Augustin auf seiner Arbeit zu besuchen. Dieser repariert Stoßstangen auf phänomenale Art und Weise auf einem der größten Märkte für Autoteile in Nigeria. Was da abging, war echt nicht mehr von dieser Welt und definitiv eines der krassesten Dinge, die ich bis jetzt erleben durfte. Es handelt sich dabei um einen ca. 1km langen Abschnitt mitten am Express-Way, an dem einfach nur die Hölle los ist. Tausende von Menschen, Millionen von Autoteilen aus den hochgestapelten, ausgeschlachteten Autos, flackernde Schweißgeräte mitten auf der Straße .. alles dreht sich um das ganz schnelle Geld.
Wir setzten uns für ca. eine Stunde an den Stand von Augustins Crew und beobachteten das Geschehen. Immer mehr Leute gesellten sich dazu, da sich wohl extrem selten ein Weißer in dieses Gebiet verirrt. Trotz der geschäftigen Atmosphäre nahm die Crew sich immer wieder die Zeit, sich in die Runde zu setzen, zu reden und die ein oder andere Tüte zu rauchen. Keine Sorge Mama, ich habe natürlich die Finger davon gelassen!

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Das war schon eine wahnsinnig interessante Erfahrung, nur zu übertreffen von dem Hin- und Rückweg. Auf dem Hinweg liefen Chime und ich so die Straße runter, als er plötzlich auf eines von diesen Motorrädern zeigte, die wie Selbstmordkommandos durch die Straßen ballern, und verlangte, dass ich mit ihm zusammen aufsteige. Wir saßen also inklusive Fahrer zu dritt auf dem Ding. Lasst mich euch ein Bild malen: Stellt euch vor, wie ein 1,90m großer Weißer und ein 110kg schwerer Schwarzer sich hinten auf ein klapperndes und quietschendes Moped aus den 80ern schwingen und durch die Straßen von Lagos knallen. Die Federung am Anschlag, so dass jede Bodenwelle – davon gibt’s hier ja wohl ein paar – mich erneut entjungferte. Am Straßenrand standen die Leute, schossen Fotos und zollten unserem Fahrer wohl Respekt.

Auf dem Rückweg entschlossen wir uns, eine andere Reisemethode zu wählen, nämlich ein Keke (siehe Foto). Dieses Mal saßen wir beide auf der Rückbank und der Fahrer vor uns, was eine deutlich komfortablere Fahrt darstellte. Da die Jungs mit den Dingern wie die geisteskranken über Stock und Stein ballern und sich aus entgegenkommenden Autos einen Slalomparcours machen, wird wohl jeglicher Freizeitpark hoffnungslos dagegen abstinken. Das Ding ist, das man den Jungs halt irgendwie vertraut; ich weiß nicht, wie, aber irgendwie funktioniert das mit dem Verkehr hier halt. Es gibt zwar hier und da ein paar Rempler, aber man sieht keine schwerwiegenden Unfälle.

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(Ein Video aus dem Keke folgt, sobald wir dahintergestiegen sind, wie man das mit dem Hochladen funktioniert)

Tag 2

Oct 312018

Hello again!


Wie ihr seht, habe ich heute Mittag direkt eine Menge bereits vorgeschriebener Sachen gepostet. Die technischen Fehler, wegen derer es bis dato nicht geklappt hatte, würde ich gerne gegen eigene Dummheit eintauschen (darauf gehen wir jetzt einfach nicht mehr weiter ein). Generell werde ich die Frequenz der Beiträge am Anfang eher hochhalten, dies wird sich aber mit der Zeit legen. Da ich aber das an anderer Stelle bereits erwähnte Versprechen an meinen Onkel und meine Familie einhalten werde, gibt’s spätestens alle drei Tage einen Post.

So .. was habe ich heute erlebt? Gegen 8Uhr kamen Chemizie und Ousama in mein Zimmer, gaben mir die Hand und wünschten mir einen guten Morgen. Da ich aufgrund des anstrengenden Vortages komplett im Koma versunken war, konnte ich das ganze erst einmal nicht wirklich einordnen. Dann fiel mir wieder ein, dass ich in Nigeria bin und schon sprang ich auf, um den zweiten Tag zu starten. Bissl Wasser ins Gesicht, frischen Schlüpper angezogen und den – ja, auch in Nigeria – obligatorischen Kaffee genossen verließen wir das Haus früh, um der deutschen Botschaft einen Besuch abzustatten. Dies wurde mir vom Auswärtigen Amt geraten, damit die auch auf dem Schirm haben, dass ich da bin, was ich hier so treibe und wo ich mich aufhalte.

Der Trip führte uns nach Victoria Island, quasi der Prinzipalmarkt von Lagos. Ne Spaß bei Seite .. es ist immer wieder verwunderlich, wie die Regierungen es schaffen, Arm von Reich in derartiger Weise voneinander zu trennen. Man fährt mit dem Auto aus den Armutsvierteln über eine Brücke quasi in eine andere Welt. Diese ist geprägt von Hochhäusern, gut ausgebauten Straßen (oder sagen wir einfach mal Infrastruktur), schimmernden Werbetafeln und Anzugträgern. Schaut man aber genau hin, sieht man die hart arbeitende Bevölkerung, die am Ende des Tages wieder den Weg auf die andere Seite der Brücke antreten wird.
Kurz der Botschaft hallo gesagt, ging es auch schon wieder Heimwärts. Es klingt vielleicht so, als hätte sich das alles mal eben innerhalb von einer Stunde abgespielt. Nene .. wir haben für eine Stecke von ca. 10km durch die Stadt jeweils 2h Fahrtzeit benötigt. Das klingt anstrengend, hat aber tatsächlich sehr viel Spaß gemacht und kam eher einer Stadtrundfahrt nahe. Unser Fahrer war gebürtiger Lagosianer (?) und kannte wirklich jeden Winkel und jede Seitengasse der Stadt. Ohne ihn hätte man für die Strecke sicherlich das doppelte an Zeit benötigt.

Zu Hause angekommen, wartete Chinyere, größere Schwester von Chimezie und Mama von uns allen, bereits mit dem Essen auf uns. Es gab Plantain (zu Deutsch „Kochbanane“) mit Reispfanne und Hähnchenschenkeln. So etwas Leckeres habe ich wirklich selten gegessen, weswegen sich der Trip nach Nigeria schon jetzt gelohnt hat. Nach dem Essen gab’s eine kleine Mittagspause. Manche hielten ihr Nickerchen, andere diskutierten darüber, wie man Frauen zufriedenstellt und was Romantik eigentlich bedeutet. Da hatte ich als Experte (ja klaaar) doch gleich mal ein Wörtchen mitzureden.

Nach der Pause musste ich Mary leider erst mal verabschieden, da für sie morgen ein neues Semester beginnt und sie deshalb die Reise gen Port Harcourt antreten musste. Übrig blieb unsere 3er-Männergruppe. Und was machen die so? Richtig, ab in die Kneipe ein Bierchen trinken! Auf dem Weg dorthin besorgten wir mir noch schnell eine Simkarte, die ich nutzen werden, solange ich hier bin. Damit ist alles ein wenig begrenzter, also stellt euch darauf ein, dass ich auf Whatsapp etc. noch weniger zu finden bin, als sonst (also quasi gar nicht?!).
Die Bar war sehr heimisch. Man saß draußen unter Obstbäumen und genoss sein Bier. Je dunkler es wurde, desto voller und lauter wurde es. Nach zwei Heineken setzten wir dann die Segel Richtung Bett. Auf dem Weg dorthin begrüßten mich natürlich wieder viele Leute und hießen mich willkommen. Kinder kamen, um meine weiße Haut zu berühren und Frauen, um meine langen Harre anzufassen. Es ist und bleibt einfach urkomisch und ich freunde mich mit der Rolle langsam sehr gut an.

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Ich könnte noch so viel schreiben, aber ich bin müde und möchte nun ein wenig den Regen genießen. Ja, richtig gelesen, es gießt gerade in Strömen und es riecht einfach phänomenal. Der Regen sorgt nämlich gerade dafür, dass der ganze Smog mal aus der Luft gespült wird. An der Temperatur ändert das allerdings eher wenig, ich schwitze wie ein Schwein..