Yannicks Blog

Tag 4

Nov 022018

Nach dem Aufwachen heute um 6:00Uhr verabschiedete ich zunächst Chimezie, der bereits heute die Heimfahrt Richtung Owerri antritt, um alles für meine Unkunft vorzubereiten. Zwischenzeitlich hatte ich schon vergessen, dass der Aufenthalt in Lagos nur ein kurzer Zwischenstopp zum eigentlichen Ziel ist. Seit gestern Abend ist auch offiziell, dass ich morgen gegen 16:00Uhr den Flieger ins Dorf nehmen werde. Ich bin wahnsinnig nervös, da mich dort nochmal eine vollkommen andere Welt erwartet.

Da ich nach dem Aufstehen recht schnell bemerkte, dass mein Organismus zum ersten Mal ein wenig unter den veränderten Umständen leidet, entschloss ich mich, den Tag im Haus zu verbringen. Gesellschaft leistete mir der älteste Sohn von Chinyere, der in Chimezies Abwesenheit ein Auge auf mich werfen sollte. Gegen 8:00Uhr machte Chinyere uns Frühstück, diese meinte es jedoch sehr großzügig und kochte uns Reis mit Fisch und Plantain (siehe Foto). Aus Höflichkeit habe ich natürlich zugeschlagen, aber für jemanden, der normalerweise gar nicht frühstückt, war das schon recht heavy. Schnell merkte ich, dass das nicht gerade förderlich für die Situation war, in der sich mein Körper zu diesem Zeitpunkt befand, weswegen ich mich erstmal wieder hinlegte.

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Als es wieder ging, fragte ich John, den Hausmeister, nach einer kleinen Führung durch’s Anwesen und machte – auf Anfragen einiger Leser – ein paar Fotos. Diese findet ihr links in den Seiten unter „1. Unterkunft“. Anschließend schnappte ich mir John, um ein bisschen rumzuschlendern, ein paar Kleinigkeiten einzukaufen und mein Flugticket auszudrucken. Auf dem Weg durch die Straßen wurden wir von einem kleinen Jungen verfolgt, den ich irgendwann zu uns holte und in unseren kleinen Ausflug mit einbezog. Als wir so unsere Orange ausschlürften schaute er mich mit gezeichnetem Blick an und fragte mich, ob ich es ihm nicht möglich machen könnte, in einem Fußballverein zu spielen, am besten zusammen mit Christiano Ronaldo. Er wolle nicht mehr hier leben und hungern. Die Art und Weise rührte mich fast zu Tode und ich musste mich zusammenreißen, keine Träne zu verlieren. Was antwortet man in so einer Situation? Der Junge erwischte mich kalt und ich gab mein Bestes, ihm gut zuzusprechen und einen Funken Hoffnung zu versprühen. Ich nahm ihn in den Arm und versprach ihm, dass er eines Tages professionellen Fußball spielen wird und besser sein wird, als dieser arrogante Ronaldo. Seine Mundwinkel zogen sich nach oben, seine Augen glänzten vor Freude. Es zeigte mir, dass es nicht darum geht, zu versuchen, jedes Kind unverzüglich von Armut zu befreien, denn die Realisten unter uns wissen genau, dass das nicht geht. Es geht vielmehr darum, keine negativen Worte zu verlieren. Die Wortwahl so zu wählen, dass der Gegenüber abends eben nicht mit dem nur zu bekannten schlechten Gefühl ins Bett geht, sondern ihm jemand gesagt hat, dass er das schaffen kann; und zwar alles, was er sich vornimmt. Das ist nicht schwer und nimmt auch nicht viel Zeit oder sonstige Ressourcen in Anspruch. Eine Situation, die nicht viel länger, als eine Minute andauerte, mich aber für den Rest meines Lebens zeichnen wird. Eine Lektion, die mir in Owerri von großer Hilfe sein wird.

Als wir wieder im Haus ankamen, stellte ich mich schon beinahe darauf ein, den Abend in Ruhe ausklingen zu lassen, da ich ja den ganzen Tag mit gewissen Anpassungsschwierigkeiten meines Körpers zu kämpfen hatte. Dann kam allerdings Ousama nach Feierabend vorbei und fragte mich, ob ich nicht noch ein Bierchen mit ihm trinken wolle. Da es mir schon viel besser ging und ich eh den ganzen Tag im Haus verbrachte, sagte ich schnell zu. Wir schnappten uns John und setzten uns in eine Bar. Es war Freitagabend und auch hier geht man am Wochenende aus, also waren die Straßen voll und die Stimmung gut. Uns wurde traditionelle Live-Musik geboten (siehe Foto) und mir wurde sogar ein Ständchen gesungen – klar, es geht halt nicht ohne die volle Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Nach ca. zwei Stunden traten wir den Heimweg an und ich muss euch beichten, dass ich gerade ganz gut einen sitzen habe. Aber immerhin noch ein gebührender Abschluss für meinen letzten Abend in Lagos.

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