Yannicks Blog

Tag 10 & 11

Nov 092018

Eigentlich bin ich tot müde und mein Akku geht gleich aus, aber lasst mich euch eben noch von meinem gestrigen Ausflug auf den Wochenmarkt erzählen, denn was da abging, war der pure Wahnsinn.

Wir, Ada und meine Wenigkeit, nahmen also wie gewohnt ein klappriges Taxi und ich verlies zum ersten Mal meine bis dato bekannte Zone. Der Plan war, die letzten Besorgungen für meine Ankunft im Dorf zu tätigen, da unter anderem auch groß gekocht werden soll. So wurde auch ich endlich mal Zeuge der berüchtigten Verkehrsprobleme in Owerri und kann nun besser nachvollziehen, wieso Ada und Chimezie immer so viel zu spät kamen, wenn man sich verabredet hatte. Wir steuerten auf eine riesige Kreuzung zu, auf welcher die Situation mit dem Wort Chaos lange nicht mehr zu beschreiben war. Wie immer suchte man Ampel, Schilder oder Verkehrspolizei vergebens und jeder fuhr ohne Sinn und Verstand auf diese Kreuzung zu. Schnell steckte alles fest, ein Bus knallte hinten in uns rein, wir selbst verpassten dem Taxi neben uns eine weitere Delle in seiner Sammlung mit unserem Außenspiegel. Die Gemüter kochten über, wie auch die Kühlflüssigkeit in den Autos. Gut eine halbe bis dreiviertel Stunde ging gar nichts mehr, bis das kollektive „1mm vor, 1mm zurück, 1mm vor…“ die nötigen Freiräume schufen und sich die ersten Autos lösen konnte. Ich denke, diese Szenerie wiederholt sich so ca. 200-300 Mal am Tag.

Naja, endlich am Markt angekommen, traute ich meinen Augen kaum. Ein riesiger Acker mitten in der Stadt mit Boden bestehend aus Schlamm und Pfützen, gezeichnet von den letzten Ausläufern der Regenzeit. Auf alten Plastikplanen breiteten die Händler, hauptsächlich Muttis der älteren Generation, ihr Obst und Gemüse aus und warteten auf umgedrehten Eimern unter den großen Sonnenschirmen auf den nächsten Käufer. „Cook it, boil it, peel it or forget it“ (Deutsch: koch es, brat es, schäl es oder vergiss es) heißt nicht umsonst das Motto, denn die Lebensmittel liegen hier gerne mal im Dreck.

Als ich den ersten Schritt aus dem Taxi auf das Gelände wagte, begab ich mich in eine der wohl stressigsten Situationen meines bisherigen Aufenthalts. Die ersten Verkäufer nahmen mich wahr und es ging los: „ONYEOCHA ONYEOCHA“ (onyeocha = weißer Mann). Innerhalb von Sekunden wurden alle auf mich Aufmerksam und schrien mir förmlich zu, ich solle zu ihren Ständen kommen, da nur sie die besten und günstigsten Lebensmittel hätten. Ada kannte sich gut aus, ging zu ihren gewohnten Ständen und schliff mich hinterher. Ich drehte mich praktisch im Kreis, da von allen Seiten auf mich eingeredet wurde und ich irgendwann nicht mehr wusste, wo oben und unten ist. Adas Freunde schenkten mir an ihren Ständen Essen, verlangten aber gleichzeitig eine kleine Spende, habe also quasi doch für das Essen bezahlt. Die Frauen befummelten meine Haare, denn sie konnten kaum glauben, dass das meine echten wahren. Alle zwei Meter fragte mich eine andere Verkäuferin, ob ich nicht ihre Tochter, oder am besten doch gleich sie selbst, heiraten wolle. Da sich mein Gehirn längst in einer Art Overflow Error befand, nickte ich irgendwann nur noch dämlich und bemühte mich, weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Nach gut zwei Stunden Markt, diese halte ich für gewöhnlich nicht einmal auf deutschen Märkten aus, waren wir mit den Besorgungen für Samstag durch. Tonnenweise Reis, Bohnen, Obst und Gemüse, aber auch Säcke voll mit Heften, Collegeblöcken und Stiften für die Kids machten sich mit uns auf den Rückweg. Unser Taxi fuhr bereits los, da liefen die Leute noch am Fenster neben dem Auto her und versuchten, mir doch noch schnell etwas anzudrehen. Selbst durch geschlossene Türe hörte ich die Rufe noch: „Onyeocha, onyeocha!“. Auf dem Heimweg reflektierte ich das Geschehen und es stellte sich für mich natürlich die Frage, was in Deutschland passieren würde, wenn ich einer dunkelhäutigen, männlichen Person „Schwarzer Mann, schwarzer Mann“ ins Gesicht schreien würde. Irgendwie ein durchaus witziger Gedanke. Ich hatte das Wort vorher schon Kinder benutzen hören, die mich auf der Straße grüßten und mich willkommen hießen, fand es bis dahin immer sehr reizend, fast schon eine Art Willkommensgruß. Dass das Wort auch für die Leute auf dem Markt eher positiv konnotiert war, ist für mich gar keine Frage. Dennoch war es für meinen Geschmack doch etwas too much, wobei ich nie auf die Idee kommen würde, jemandem hier so etwas wie Diskriminierung zu unterstellen. Ich speichere es einfach ab unter der Kategorie „andere Länder, andere Sitten“. Unterm Strich war es ein bizarrer, aber sehr geiler Tag mit vielen neuen Eindrücken. Beim nächsten Mal weiß ich, was mich erwartet, und ich werde wohl um Längen besser damit umgehen können.

 

Heute haben wir uns sortiert, einen Plan für das Wochenende und die kommende Woche gemacht und ab morgen wird dann endlich durchgestartet. Ich bin unfassbar gespannt, was mich erwartet und wie sich unser Projekt über die nächsten knapp zwei Monate über entwickeln wird. 

 

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