Yannicks Blog

Tag 23

Nov 212018

Während ich die Leute hier so beobachte, frage ich mich oft, ob in deren Leben wohl jemals so etwas wie Normalität oder ein geregelter Tagesablauf herrscht. Es sieht für mich ganz danach aus, als gäbe es nur wenige Fixpunkte, nach denen man sich hier richten kann. Das alltägliche Chaos auf den Straßen macht einfach alles zu unberechenbar. Ich nehme es auch längst niemandem mehr übel, wenn er oder sie zu spät kommt. Vielleicht ist ja auch eben dieses Chaos die einzige universelle Konstante, nach der man sich hier richten kann.

Der Tag heute war recht entspannt, wobei ich wieder viel im Dorf unterwegs war. Wir kamen gegen 11:00Uhr bei Chimezies Elternhaus an und von da aus setzten wir zu einer weiteren kleinen Erkundungstour an. Diese begann bei seinen Arbeitskollegen vom Bau, mit denen wir uns erstmal ein kleines vormittagliches Bierchen gönnten. Was das Trinken von Alkohol angeht, scheint es hier wirklich keinerlei, zumindest inoffizielle à la „kein Bier vor vier“, Regeln zu geben. Nach einem Weilchen ging es dann weiter Richtung Niemandsland. Die Straße wurde schmaler, Leute und Häuser weniger und der Busch dichter und höher, bis wir schließlich das Dorf verließen. Würde ich einen Fuß von dem Pfad setzen, wäre ich wahrscheinlich für immer verloren und müsste mit den Wölfen leben. Zwischen all den Bananen- und Kokosnussbäumen fühle ich mich aber pudelwohl und ich hätte noch Stunden weiter durch das Grün wandern können. Wieder im Elternhaus angekommen, hatte sich meine Anwesenheit ordentlich rumgesprochen und es warteten wieder mal Leute auf mich, die ich natürlich unbedingt kennenlernen musste.

Als eine Frau auf ziemlich respektlose Art und Weise Geld und etwas von dem Brot, was ich zuvor für die Kids gekauft hatte, von mir verlangte, machte sich zum ersten Mal tiefe Ernüchterung in mir breit und mir wurde klar, dass das Reduzieren auf meine Hautfarbe und mein Geld langsam doch sehr anstrengend wird (nochmal: die Leute hier meinen das nicht böse und das ist mir bewusst. Oft wird nur gescherzt und die Leute haben einfach nicht vor Augen, dass mir das täglich an die hundert Male passiert). Speziell in dieser Situation aber bekam ich davon etwas zu viel und es folgte eine ziemlich heftige Ansage meinerseits, die mir im Nachhinein auch leidtat. Ich ließ die Dame wissen, dass ich nicht reich bin und in zwei Nebenjobs viel arbeiten musste, um diese Reise unternehmen zu können. Außerdem, dass ich ausschließlich für die Kinder des Projektes gekommen bin und sie ihre Lebenssituation nicht dazu berechtigt, so mit mir zu reden. Ich kann nun mal nicht Geschenke für die ganze Welt in meiner Tasche haben, noch kann ich individuell für das Elend der Welt verantwortlich gemacht werden. Es sprach wohl der Frust aus mir, denn in so ziemlich jeder Unterhaltung habe ich im Hinterkopf, dass es irgendwann um Geld gehen wird. Umso erfrischender sind diejenigen, die ich kennenlernen durfte, bei denen es eben nicht so war und mit denen ich ehrliche Gespräche führen konnte. Auch, wenn es nur eine Hand voll waren. Nachdem ich seitens Chime, Ada, deren Mutter und dem bereits wartenden Taxifahrer Zuspruch für meine Worte bekam, entschuldigte ich mich aber und fragte, ob sie mich denn verstehen könne. Etwas verdutzt bejahte sie es und wir stiegen ins Taxi, um rüber zum Projekt zu fahren.

Dort angekommen, wurde ich wieder mit großer Freude von den Kids empfangen, die mich gleich mit tausenden Fragen zu Englisch und Mathe bombardierten. Viele sind in der sechsten Klasse, was bedeutet, dass sie Ende des Schuljahres einen Abschlusstest schreiben müssen, dessen Bestehen sie für die Teilnahme an einer weiterführenden Schule berechtigt. Spontan fingen wir dann also bereits heute mit den Nachhilfestunden unter der Woche an. Als ich sah, was für einen Spaß die Kinder am Lernen und an Schule generell haben, ging mir das Lehrerherz so richtig auf. Mit einer wahnsinnigen Schnelligkeit sprachen wir deren Vorbereitungsaufgaben durch und irgendwie wusste ich selbst gar nicht so wirklich, wie mir geschieht. Ich hätte ihnen genauso gut Kernphysik erklären können (nicht, dass ich es könnte) und sie hätten es einfach aufsaugen und anwenden können. Im Handumdrehen waren zwei Stunden um und die Frauen riefen zum Essen. Das taten wir dann auch genüsslich und anschließend verabschiedete ich mich.

Jetzt liege ich in meinem ganzen Stolz, meiner kleinen Höhle, die ich mir gestern aus einem Mückennetz und ein paar Utensilien aus dem Bauschutt hinterm Haus zusammengebastelt habe. Sie schützt mich vor diesen verdammten Mücken und allem, was hier sonst noch so nachtsüber auf mir rumkrabbelt.

 

P.S.: Morgen werde ich mal versuchen, die versprochenen Bilder aus der Umgebung hochzuladen.