Yannicks Blog

Tag 26

Nov 242018

Wie auch in meiner eigenen Kindheit, bildet hier die Straße den Nährboden für die frühkindliche Entwicklung. Beinahe täglich bedaure ich die „armen“ Kids in unserer Welt, die bereits im Kinderwagen ein Tablet in die Hand gedrückt bekommen. Auf dem ersten gemalten Bild erscheint ein schwarzer, viereckiger Kasten, anstatt der berühmte Kopffüßler. Wenn ich dann hier so sehe, wie die Kids sich Torpfosten aus Schuhen bauen oder Drachen aus Stöckern und Plastiktüten basteln, fühle ich mich 20 Jahre in der Zeit zurückversetzt und mich packt die pure Nostalgie.

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Gestern und vorgestern war nicht viel los, daher beschränke ich mich mal auf heute. Bereits um 9:00Uhr ging die Reise los Richtung Dorf, denn es war an der Zeit für den zweiten Tag Unterricht in unserer neuen, kleinen Schule und ich war tierisch aufgeregt, ob das, was ich mir so ausgedacht hatte, auch funktionieren würde. Kurz vorher machten wir noch Halt an ein bis zwei Stationen, um noch ein paar Schulmaterialien zu kaufen, denn ich habe von neuen Verbündeten einige Tipps bekommen. Ich stehe nämlich seit dieser Woche in Kontakt mit den Lehrern der örtlichen Primary School (Grundschule) und erklärte ihnen mein Vorhaben, aber auch, dass ich ihnen keinesfalls in ihre Arbeit fuschen wolle. Die Begeisterung war sehr groß und ich genieße volle Unterstützung, da auch sie wissen, dass sehr viele Kinder vom Bildungssystem nicht im vollen Umfang aufgefangen werden, bzw. ganz durch das Raster fallen. Wir werden uns nächste Woche erneut treffen, um uns abzusprechen und aus der Sache auch in Zukunft eine einigermaßen runde Sache zu machen.

Ich kam also gegen 10:00Uhr im Dorf an und merkte gleich, dass die allgemeine Stimmung sehr gedrückt bis sch****e war. Chemizie hatte mich bereits vorgewarnt, da zurzeit echt kein Geld da ist, was wiederum bedeutet, dass die Leute nicht arbeiten, den ganzen Tag nichts zu tun haben und zudem kein Essen da ist. Dass das die Gemüter auf 180 bringt, konnte ich sehr gut nachvollziehen und ich tat mein Bestes daran, mit allen einzeln zu reden und ihnen gut zuzusprechen. Als die Situation soweit beruhigt war fingen wir mit einer Stunde Verspätung mit dem Unterricht an. Wie erwartet, standen noch mehr Kinder vor mir, als letzten Samstag, aber ich hatte mich ja vorbereitet. So teilten wir die Meute in zwei Gruppen auf: zuerst zwei Stunden die Klassen 1-4 und dann drei Stunden 5-8. Vier Jahrgangsstufen pro Unterrichtseinheit abzudecken ist immer noch alles andere, als homogen, aber das Unterrichtskonzept, dass ich mir die ganze Woche über ausgedacht hatte, griff ganz gut und wir kamen alle irgendwie klar. Die erste Klasse umfasst nun schließlich 19 Kinder und die zweite 22. Die Atmosphäre war sowohl bei den Jungen, als auch bei den Älteren super produktiv und mit zwei kleinen Päuschen zwischendurch war es dann auch plötzlich 16:00Uhr. Zum Abschluss aßen wir dann alle noch schön zusammen unseren Reis mit Allerlei und wir machten uns auf die Heimfahrt.

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In Owerri angekommen, gönnten Chime und ich uns bis gerade erstmal ein oder zwei Bierchen und irgendwie kam es dazu, dass er sich mir komplett öffnete. Er erzählte mir die gesamte Geschichte hinter dem Haus und von seiner Mission, was mich aus dem Staunen nicht mehr rauskommen ließ und mir großen Respekt vor diesem Mann verschaffte. Wir in Deutschland schicken immer Geld und irgendwann können wir dann stolz den Artikel in der hiesigen Zeitung betrachten, wenn der nächste große Schritt erreicht wurde. Aber Leute, ihr könnt euch einfach nicht vorstellen, was dazwischen für ein unfassbares Leid passiert. Auch ich habe das Ausmaß dessen einfach so maßlos unterschätzt, aber ich kann euch eines mit Sicherheit sagen: wenn die Leute das, was ich hier täglich sehe und erfahre, selbst sehen würden, dann gäbe es all dieses Leid gar nicht, denn es würde ohne Ende gespendet werden. Es müsste ein Etat vom Staat bereitgestellt werden, damit deutsche Kinder ein verpflichtendes Praktikum in solchen Gebieten absolvieren könnten. Mir ist bewusst, wie radikal und utopisch das ist, aber es würde so vieles in den Köpfen der Menschen bewirken. Wir wären uns viel mehr im Klaren darüber, wie viel unser Wohlstand eigentlich wert ist und was für ein verdammtes Glück wir hatten, in dieses Leben geboren worden zu sein. Glaubt mir, die Leute hier sind sich ihrem Pech in jedem Fall bewusst.

Genug davon, mir ist gerade eine Kakerlake über den Fuß gekrabbelt. Das war das Zeichen, meine Höhle aufzubauen und mich darin zu verkriechen.