Yannicks Blog

Tag 27

Nov 262018


Heute steht nicht viel an, also lasst mich euch doch noch eben von gestern erzählen. Vorab: meine Erlebnisse gestern mögen auf dem Papier vielleicht etwas dramatisch klingen, waren aber am Ende des Tages auch nur das täglich Brot eines jeden Nigerianers und somit war es auch für mich mal an der Zeit, das in dieser Form durchmachen zu müssen.

Der Plan war, Mary an ihrer Universität in Port Harcourt zu besuchen. Zur Erinnerung: die Liebe ist quasi eines der Aushängeschilder unseres Vereins, da sie es tatsächlich geschafft hat, ein Medizinstudium anzufangen und dieses bis heute sogar sehr erfolgreich zu führen. Port Harcourt ist die nächst größere Stadt und etwa 30-40km von Owerri entfernt, sollte also theoretisch, auch unter nigerianischen Umständen, in 45Minuten bis einer Stunde zu erreichen sein, wobei die Uni selbst weit außerhalb der Stadt gelegen ist. Wir haben für die Hinfahrt allein über drei Stunden gebraucht, lasst mich euch schildern, warum.

Gegen 10:00Uhr verließen wir das Haus und ein paar Meter weiter die Straßen hoch hielten wir direkt ein Taxi an. Nach langen Verhandlungen brachten wir ihn tatsächlich dazu, uns für einen guten Preis bis zur Uni zu bringen, dort zu warten und uns anschließend wieder zurückzubringen. Kurzzeitlich dachte ich „Jackpot“, wusste zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, dass wir den wohl schlechtesten Fahrer in ganz Owerri erwischt hatten.

Schon waren Chime, Ada und meine Wenigkeit auf der Port Harcourt Road unterwegs, die mitten durch den tiefsten nigerianischen Busch führt. Gerade im Niemandsland angekommen, verreckte uns die Karre, da der Depp von Fahrer das Tanken vergessen hatte und ebenso feststellen musste, dass sein Reservekanister im Kofferraum leer war. Nach einigen gepflegten Ausrastern von Chimezie machte sich der Fahrer, der glücklicherweise ein vorbeifahrendes Motorrad anhalten konnte, auf zur nächsten Tankstelle, die aber einige Kilometer weit entfernt lag. Die Atmosphäre war komisch, da Chime sehr beunruhigt war und sich wie ein Türsteher vor mein Fenster stellte. Ich blieb eigentlich recht entspannt und versuchte, die Lage etwas aufzulockern. Nach einer Stunde bei 36Grad brütender Hitze im Auto war dann auch ich kurz davor, meine Gelassenheit zu verlieren, hörte dann aber das sich nähernde Motorrad inklusive Fahrer und vollem Kanister. Es konnte also weitergehen.

Ein paar Einträge zurück berichtete ich euch von dem netten Polizeibeamten, der Adas Handy einkassierte. Wir befanden uns auf derselben Straße, was bedeutete, dass wir wieder unzählige solcher Check-Points passieren mussten. Die Ersten gingen noch in Ordnung, aber je mehr wir uns der Uni näherten, desto höher wurde die Militärpräsenz und somit auch die Anzahl der Check-Points. Später erfuhr ich, dass diese von der Uni bezahlt werden, da diese wirklich mitten im Busch liegt und das Gebiet generell als unsicher eingestuft wird. Als wir dann bei einer Kontrolle rausgezogen und näher kontrolliert wurden, stellten die Soldaten fest, dass die Papiere des Taxifahrers – diesem unfassbaren Vollidioten – seit mehreren Monaten abgelaufen waren. In solchen Gebieten verstehen die Jungs damit gar keinen Spaß und es war natürlich das gefundene Fressen, ein bisschen Schmiergeld zu verlangen. Beim ersten Mal kamen wir noch glimpflich davon, auch die beiden weiteren Male waren noch okay, der letzte Check-Point vor der Uni aber ganz und gar nicht mehr.

Wir wurden also wieder rausgezogen und erstmal 20 Minuten lang ignoriert. Dann versuchte der Fahrer es mit ein wenig Schmiergeld, aber der Soldat, den wir erwischt hatten, war ein durch und durch korruptes A****loch und als er sah, dass ein Weißer mit an Bord war, verlangte er eine utopische Summe an Geld. Mittlerweile hatte auch Chime das Auto verlassen und ich hörte hitzige Diskussionen aus dem aus Sandsäcken gebauten Büro. Dies ging sogar so weit, bis es eskalierte und einer der Soldaten mit einem Knüppel auf den Fahrer einschlug, der mir zu diesem Zeitpunkt echt leid tat. Eine weitere halbe Stunde verging und ich fing an, mich unglaublich über diese Situation aufzuregen, die sich zu einer echten Farse entwickelte. Ich überlegte, was passieren würde, sollte ich das Auto verlassen, um mich einzumischen, aber ich hielt natürlich die Füße still. Als ein Soldat auf der anderen Straßenseite mich sah, kam er freudestrahlend auf unser Auto zu und laberte mich davon voll, dass ich herzlich willkommen sei und dort sehen könne, wie sicher Nigeria sei und dass ich mich frei bewegen könne. Ich zögerte kurz, verlor dann aber schließlich doch meine Fassung und fragte den guten Mann, wie ich mich denn frei bewegen könne, wenn sie hier so etwas abziehen. Ich fragte ihn weiter, was genau deren Handeln mit dem Schutz der Bürger zu tun hätte und außerdem, was das Ausnutzen von Uniformen und Waffen, um Schmiergelder einzutreiben, für eine Funktion für die Gesellschaft darstellen solle. Ich stand zwar aus voller Überzeugung zu meiner Aussage, ließ mir aber nicht anmerken, dass ich mir fast in die Hose machte, während ich auf eine Reaktion wartete. Diese blieb aber aus und er ging zu den anderen ins Büro. Als Chime einen Blick rüber warf, winkte ich ihn zu mir rüber. Ich gab ihm ein bisschen Geld und sagte ihm, er solle es dem Soldaten geben, der gerade bei uns am Auto stand und liebe Grüße von mir bestellen. Plötzlich gab er unserem Fahrer Schlüssel und Papiere wieder und wir konnten weiterfahren.

Endlich an der Uni angekommen, wurden wir und vor allem das Auto gründlichst gefilzt, bevor wir uns auf den unsagbar großen Campus begeben durften. Wir trafen Mary, schnappten uns ein Keke und machten eine kleine Tour. Es war sehr spannend für mich zu sehen, wie sowas in Nigeria aussieht. Ich betrat einen Hörsaal, sah Sportplätze und Wohnheime und aß eine Kleinigkeit in der Mensa. Es ist ein sehr religiöser Ort, an dem auch viele Pilger anzutreffen sind. Die Studenten werden daher sehr streng geführt und haben eigentlich keinerlei Freiheiten, denn deren Leben besteht ausschließlich aus Studium und Kirche. Da wir für den Hinweg so lange brauchten, mussten wir leider bereits nach einer guten Stunde die Heimfahrt antreten.

Diese war verhältnismäßig ruhig. Wir passierten alle Kontrollen ohne größere Strapazen, blieben aber kurz vor Owerri noch einmal liegen. Der Fahrer hatte aber zum ersten Mal in seinem Leben mitgedacht und den Reservekanister gefüllt, während er auf uns wartete. Als wir dann auch wieder vorwärtsfahren konnten, nachdem das Getriebe eine Zeit lang nur den Rückwärtsgang akzeptierte, schafften wir es tatsächlich bis nach Hause. Nach einer ziemlich deutlichen Ansage meinerseits akzeptiere der Fahrer dann auch den Rabatt, den ich mir wegen der Umstände selbst auf die Fahrt gegeben hatte.

Ein Wohnheim:

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Gerade aus die Kirche, rechts die Mensa:

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Der Innenhof:

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Die medizinische Fakultät von Mary:

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Und mein persönlicher Favorit, ein Hörsaal:

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