Yannicks Blog

Tag 36

Dec 062018

Morgen früh ist der Urlaub bei Dr. D.V.C. (David Valentine Chuckwudi) Obi auch schon wieder vorbei. Er selbst ist heute Morgen nach Lagos geflogen, um dann heute Abend weiter nach Abuja und Samstagmorgen wieder zurück nach Enugu zu fliegen – und das im zarten Alter von 81 Jahren. Ich habe so einen Menschen noch nie kennengelernt. Es scheint so, als hätte er über diese 81 Jahre nichts anderes getan, als aus seinem Leben ein nahezu perfektionistisches Laufwerk zu formen, was dem einer Schweizer Taschenuhr gleicht. Alles und jeder um ihn herum kennt jeden seiner Abläufe und ist ihm meistens schon einen Schritt voraus. Das bedeutet aber nicht, dass er jeden Tag unter Vollstrom steht, eher das Gegenteil ist der Fall. Genau dieser Perfektionismus erlaubt ihm, sich voll und ganz zu entspannen und sich in die Hände seiner Bediensteten fallen zu lassen. Er nimmt sich Zeit, für die Dinge, die ihm wichtig sind. So sitzen wir teilweise bis 12Uhr in unseren Nachthemden am Frühstückstisch und er hat es nach nur drei Tagen geschafft, auch mich in dieses System einzubauen. Genug davon, was treibe ich so in Enugu?

Zunächst verbringe ich sehr viel Zeit auf dem Fabrikgelände seiner Firma, „DVC Plastics Ltd.“. Das ist mal mehr und mal weniger spannend. Jedoch habe ich schon einige Zeit in Fabriken verbracht, um mir neben dem Studium etwas Geld dazu zu verdienen und konnte somit mit vielen Dingen etwas anfangen und war sehr interessiert, wie solche Dinge hier wohl aussehen würden. Die Unterschiede sind gravierend, besonders natürlich, was Hygiene und Sicherheit angeht. So sucht man Gehörschutz oder Atemschutzmasken natürlich vergebens. Die Arbeiter stehen teilweise in Sporthose und Sandalen an den schweren Maschinen. Die 24 Stunden des Tages sind hier auch nicht in drei Schichten, wie bei uns, sondern in nur zwei Schichten eingeteilt. Das ist schon harter Tobak, hier aber pure Normalität und was soll ich sagen? Die Leute sind glücklich. Viele von ihnen sind Kids von der Straße, denen der Doc Arbeit und Obdach gegeben hat, was auch der Hauptgrund ist, weswegen er sich noch nicht zur Ruhe gesetzt hat. Mit gerechtem Stundenlohnt, Bonuszahlungen, Pausen und täglichem Mittagsessen für lau gehört er definitiv zu den besseren Arbeitsgebern. Volle zwei Wochen Weihnachtsurlaub gibt es oben drauf. Geschenkt wird aber niemandem irgendwas. Seine Großzügigkeit verlangt im Gegenzug eiserne Disziplin und eine dritte Chance gibt es selten bis nie.

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Vorgestern wurden wir, also Chimezie und ich, vier Stunden lang mit einem Keke durch Enugu kutschiert. Die Infrastruktur ist der des Imo-State meilenweit voraus. Allein die Straßen sind fast wie in Deutschland. Es gibt Markierungen, Schilder und sogar Ampeln, die den Verkehr hier einigermaßen geregelt aussehen lassen. Zudem sind Restaurants, Hotels, Supermärkte, Krankenhäuser etc. hier sehr modern. Die Stadt ist komplett umrundet von Gebirgen, was das Klima super angenehm macht. Tagsüber gibt es mal eine frische Brise, die Luftfeuchtigkeit ist schon fast normal und nachts kühlt es ordentlich ab. Wir sind mit dem Keke rauf auf einen Berg gefahren und konnten über die ganze Stadt schauen, was ziemlich beeindruckend war. Sogar ein Abstecher in das Fußballstadion der Enugu Rangers war dabei und ein Shoprite, auf dessen Gelände diese Woche übrigens ein Bierfest stattfindet, darf natürlich auch nicht fehlen. Hier sieht man, was für einen Einfluss der Grad der Korruption der Politiker auf die individuelle Entwicklung eines Bundesstaates hat. Die Leute hier fluchen zwar auch viel über den Gouverneur ihrer Regierung, scheinen aber doch weitaus mehr vom wirtschaftlichen Erfolg des Staates abzubekommen, als beispielsweise jene im Imo-State, welcher einer der am schlechtesten geführten Staaten des Landes ist. Stellt euch einfach vor, es wäre 20 Jahre früher und ihr würdet vom Westen Deutschlands in den Osten fahren.

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Gestern Abend wurde es ein wenig makaber. Der Doc wollte mich unbedingt in ein so genanntes „Point and Kill“-Restaurant mitnehmen. Es handelt sich dabei um ein Fisch-Restaurant, in dem, wie der Name schon vermuten lässt, man auf einen lebendigen Fisch zeigt, welcher dann für einen getötet und nach Wunsch zubereitet wird. Die Haltung der Fische war natürlich recht grenzwertig. Als selbst ernannter Teilzeit-Vegetarier ist das hier mit dem Fleisch eh schon so ‘ne Sache für mich. Ich bemühe mich schon sehr, alles zumindest zu probieren, was man mir vorsetzt. Besonders beim Fleisch enttäusche ich die Leute aber oft, in dem ich passe und um das Fleisch herum esse. Das liegt aber auch daran, dass ich sehe, wie das Zeug auf den Märkten verarbeitet wird und mir der Appetit im Vorhinein schon lange vergangen ist. Der Doc wählte also für die sechs Personen drei riesen Welse und „Pepper Soup“ als Zubereitungsart aus. Eine gute Dreiviertelstunde später kamen dann drei große Töpfe, in denen jeweils der in Stücke geschnittene Wels in roter Pfeffersuppe schwamm. Die Kellnerin verteilte alles auf die Teller und ich betete, dass ich keinen Kopf erwische, was auch erhört wurde. Die Suppe war tatsächlich nicht schlecht, bei dem Fisch musste ich mich aber ein-zwei Male echt zusammenreißen, dass es mir nicht gleich wieder hochkommt. Aber, wie meine Mutter mich lehrte, wird gegessen, was auf den Tisch kommt; und das tat ich auch.

Morgen früh geht es dann mit dem Bus zurück nach Owerri. Es wird das erste Mal sein, dass ich mit dem Bus eine Überlandfahrt unternehme. Auf der Hinfahrt haben wir mit einem schnellen Auto schon vier Stunden gebraucht, also kann ich wahrscheinlich froh sein, wenn ich vor Sonntag ankomme.

 

P.S.: Lieber Dirk (Klein-Bolting), liebe Lisa Süper, vielen Dank für eure Spende in Höhe von 60€!