Yannicks Blog

Tag 39

Dec 092018

Nein, ich bin nicht erst jetzt in Owerri angekommen. Die Busfahrt am Freitag ging doch recht zügig, da der Fahrer ein Rennen gegen sich selbst zu fahren schien. Sie glich einer Achterbahnfahrt über Stock und Stein, durch tiefste Wälder und vergessenen Siedlungen. Von einer beeindruckenden Flora bis hin zu hungernden Kindern am Straßenrand war mal wieder alles dabei. Die Straßen waren extrem voll und so voller Staub und dunkler Abgase, dass man zwischendurch keine 50 Meter weit gucken konnte. Oft sieht man etliche Hütten entlang der Straße, die aus Holz, Blech und Sonnenschirmen zusammengenagelt wurden und vom Staub der Straße eingehüllt sind. Die Menschen leben dort vermehrt mit Atemschutzmasken. Hatte man bei der Durchfahrt dieser Zonen die Fenster unten, hatten selbst wir Schwierigkeiten vernünftig zu atmen. Hier ein paar Bilder:

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Gestern war ich dann wieder bei unserem Projekt in Awo-Omamma und, wie eigentlich jeden Samstag, war auch dieser wieder sehr turbulent. Direkt nach meiner Ankunft begrüßte ich natürlich erstmal alle. Unter den Kindern war auch Lucky, ein Junge, der zu den von unserem Projekt direkt finanzierten Waisen gehört. Ich sah gleich, dass sich auf seinem Kopf eine ziemlich üble Infektion ausgebreitet hatte. Keiner wusste so wirklich damit umzugehen und es wurde scheinbar tagelang ignoriert, was mich natürlich auf 180 brachte. Da noch 30 andere Kinder vor mir standen, ließ ich die anderen wissen, dass wir an dem Tag früher Schluss machen, damit ich danach mit Lucky ins Krankenhaus fahren kann.

Mit einem mächtigen Kloß im Hals machte ich drei Stunden Unterricht. Mittlerweile distanziere ich mich von tieferen Englisch- und Mathematikinhalten. Die absoluten Basics sitzen ohnehin schon recht gut und ich nutze die verbleibende Zeit nun lieber, um über allgemeine Themen, wie beispielsweise Hygiene, Nahrung, Müll, Verhütung, Mobbing oder Diskriminierung zu sprechen. Die Einheit machte den Kids großen Spaß und am Ende gab’s natürlich wieder ein wenig Musik.

Anschließend schnappte ich mir dann endlich Lucky und fuhr ins nächstgelegene Krankenhaus. Ich dachte erst, wir fahren ins Community Hospital, in dem ich vor drei-vier Wochen bereits das Neugeborene unseres Wachmannes besucht hatte. Dem war aber nicht so und als wir ankamen, war ich erstmal schockiert. Dass sich so etwas in der heutigen Zeit irgendwo auf diesem Planeten noch Krankenhaus nennen darf, konnte ich einfach nicht glauben. Wir standen vor einer komplett heruntergekommenen Hütte mit völlig überfüllten Krankenzimmern. Kein Licht, alles voll mit Müll und Schutt. Etwa zehn Krankenschwester nahmen uns immerhin sehr nett auf und holten den einen Arzt des Hauses zurück, der bereits im Auto saß, um den Heimweg anzutreten. Er behandelte Lucky prompt und konnte schnell eine Diagnose stellen. An sich handelt es sich um nichts wirklich Schlimmes, aber das Ausmaß der Infektion war verheerend. Täglich eine Spritze über sieben Tage, eine Creme sowie spezielles Shampoo sollten die Sache aber in einem Monat wieder richten. Krankenversicherung gibt es hier natürlich nicht, also musste alles in Cash bezahlt werden. Das soll für mich aber okay sein, solange die Behandlung anschlägt und es unserem kleinen Lucky bald besser geht.

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Zurück am Waisenhaus hörte ich gleich großes Geschrei. Es wurde mal wieder über Banalitäten gestritten und die Fetzen flogen dieses Mal echt ordentlich. Ich konnte die Leute beruhigen und ihnen gut zu reden, da ich weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis das ganze gesammelte Geld aus Deutschland kommt. Auch das zerrte aber ordentlich an meinen Nerven und als ich gegen 16:30Uhr das Auto für die Heimreise betrat, merkte ich erst, wie fertig ich war.

Am Abend nahm mich die ganze Situation zum ersten Mal so richtig mit, was mich doch sehr mit meinen Emotionen kämpfen ließ. Die Bilder von heute und alles, was ich im letzten Monat gesehen und erlebt hatte, schien auf einmal auf mich niederzuprasseln. Hinzu kam, dass ich in schwachen Momenten den ganzen Sinn und Zweck meines Vorhabens in diesem Dorf in Frage stelle. Ich habe oft das Gefühl, als sei ich für die Leute hier nur eine erfrischende Abwechslung. Jemand, der mal eben Geld bringt, das Leben temporär ein Stück besser macht und dann wieder verschwindet. Das mag ja auch ein stückweit so sein, aber wann immer ich mit den Leuten im Waisenhaus ernsthaft über Pläne in der Zukunft spreche, um die Umstände zu verbessern, stoße ich auf Ignoranz. Ich nehme das niemandem übel. Das Leben hier lehrt den Leuten halt, über das Jetzt nachzudenken. „Wie komme ich JETZT an Geld, damit ich JETZT etwas zu Essen habe?“ Diese Situation hält viele davon ab, langfristig zu denken, um an der Gesamtsituation etwas zu verbessern. Für mich, der eben langfristig eine Lösung finden möchte, ist das aber unglaublich frustrierend, denn so werden sie diesen Teufelskreis einfach niemals durchbrechen können.

Naja, die paar Stunden habe ich mir gestern mal gegönnt. Heute sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Morgen werde ich übrigens zurück nach Anambra-State in das Kloster, um erneut Reverant Malachy zu besuchen. Dieses Mal werde ich einige Tage bleiben. Er ist der nächste auf meiner Liste, der davon überzeugt werden muss, dass wir auch aus Nigeria selbst Hilfe für das Waisenhaus brauchen.