Yannicks Blog

Tag 53

Dec 232018

Waren das jetzt etwa vier Tage? Dann habe ich tatsächlich mein Wort gebrochen, das tut mir natürlich leid. Aber ich bin mir sicher, dass ihr sehen konntet, dass es nichts zu befürchten gibt und bei mir ist auch nach wie vor alles tutti. Lasst mich euch aber eines sagen: die Weihnachtszeit in Nigeria ist hardcore! Bis vor Kurzem dachte ich noch, dass doch alles nur halb so wild sei. Seit dieser Woche ist aber nichts mehr normal und es hat auch der Letzte endgültig seinen Verstand verloren. Ich werde auf jeden Fall wiederkommen, das ist bereits in Stein gemeißelt, aber sicher nicht zur Weihnachtszeit!

Freitag und heute drehte sich alles nur um die Vorbereitungen. Wir haben Unmengen an Essen, Getränken und Geschenken besorgt und irgendwie befürchte ich dennoch, dass wir morgen komplett überrannt werden. Sollte es dazu kommen, kann ich trotzdem behaupten, alles gegeben zu haben. Ab einem gewissen Punkt, wie ich bereits erwähnte, müssen zwangsläufig einfach Leute auf der Strecke bleiben. Ich habe jetzt exakt 50 Geschenke für die Kids vorbereitet. Wenn 51 vor mir stehen und das letzte mich mit großen Augen anschaut, werde ich aber wohl anfangen zu heulen. Vielleicht werde ich das eine Kind dann als Entschuldigung mit nach Deutschland nehmen. Was ich denen schenke und wie alles abläuft, schreibe ich dann in dem Eintrag nach Weihnachten, vielleicht ja schon am Mittwochabend.

Jetzt erzähle ich euch lieber von gestern, denn trotz wilder Vorbereitungen wollte ich noch einmal einen richtig schönen Samstag mit den Kids verbringen. Leider war ich erst sehr spät im Dorf, da der Tag mal wieder total chaotisch begann. Hauptverantwortlich war aber das „Spiel der Banken“. Das habe ich selbst erfunden und jeder der zwei Millionen Einwohner von Owerri spielt mit. Es geht wie folgt: die Banken füllen täglich nur einen Geldautomaten der Stadt mit Geld, alle anderen sind leer. Wer diesen einen Automaten findet, gewinnt. Jetzt mal Spaß bei Seite. Es gibt Tage, da scheint es unmöglich, an Geld zu kommen. Teilweise gurken wir zwei Stunden in einem Taxi durch die ganze Stadt und klappern die Banken ab. Hat man einen Automaten gefunden, der befüllt wurde, ist die Warteschlange unfassbar lang. Das frustriert zwar extrem, aber man hat ja keine Wahl, als das Spiel zu spielen.

So gegen 11:30Uhr war ich dann endlich im Dorf. Bis ich die ganzen Kinder zusammengetrommelt hatte, war es bereits 12:00Uhr. Das war aber okay, da ich für dieses Tag keinen Unterricht, sondern die „Olympic Games of Nigeria“ (Olympischen Spiele Nigerias) ausgerufen hatte. Ich teilte die Gruppe in zwei Teams a 15 Kinder auf und forderte sie zunächst auf, demokratisch einen Kapitän und einen Teamnamen zu wählen. Daraus ergab sich das Duell zwischen „Team Chelsea“ gegen „Team Good Luck“. Gespielt wurden folgende acht Disziplinen, aus denen man eine maximale Punktzahl von 20 Punkten einfahren konnte:

Spiel 1: Toilet Paper Toss (Toilettenpapierwurf) (1Pkt.)
Ich begab mich mit zwei Stücken Toilettenpapier, eins für jedes Team, auf den Balkon im 1. Stock des Hauses. Die Mitglieder beider Teams wurden jeweils aufgefordert, sich an die Hände zu nehmen und einen Kreis zu bilden. Anschließend wurden beide Papierstücke gleichzeitig vom Balkon fallen gelassen. Ziel des Spiels war es, das Stück Toilettenpapier mithilfe von kollektivem Pusten über dem Boden zu halten. Das Team, dessen Papier zuerst den Boden berührt, hat verloren.

Spiel 2: Hangman (Galgenmännchen) (3Pkt.)
Dieses Spiel ist wohl selbsterklärend. Jedes Team bekam drei Wörter zum erraten.

Spiel 3: Hit the Bucket (Triff den Eimer) (2Pkt.)
Beide Teams stellten sich jeweils in einer Reihe vor einer alten Tonne auf, die Entfernung betrug fünf Meter. Ziel des Spiels war es, in möglichst kurzer Zeit zehn Mal in die Tonne zu werfen. Nachdem der Vorderste an der Reihe war, holte dieser den Ball zurück, übergibt ihn an den Hintermann und stellt sich hinten an.

Spiel 4: Trivia (5Pkt.)
Jedes Team bekam ein Blatt Papier und einen Stift. Der Kapitän sollte das Schreiben übernehmen. Pro Frage gab es eine Minute Antwortzeit. Folgende Fragen wurden gestellt:
1. Wie lautet mein Nachname?
2. Wie viele Milliliter sind 15 Liter?
3. Wie lautet der Text unseres „ABC Song“?
4. Wie viele Einwohner hat Nigeria?
5. Wie heißt dieser Song? (Hier habe ich das Lied „Jingle Bells“ abgespielt)

Spiel 5: The great Egg-Run (Der große Eierlauf) (3Pkt.)
Jedes Team musste sieben Spieler (die ältesten) auswählen, die den Lauf antraten. Zuvor wurde ein Parcours rund ums Haus abgesteckt. Die beiden Teams stellten sich jeweils in einer Reihe an der Startlinie auf, die beiden Kapitäne bekamen Löffel und Ei und starteten den Lauf. Gewonnen hat das Team, dessen sieben Läufer zuerst die Ziellinie überquerten.

Spiel 6: Kommando Pimperle (2Pkt.)
Hier nahmen alle Spieler beider Teams teil. Gespielt wurde nach dem „Last Man Standing – Prinzip“, also das Team, welches als letztes noch einen Spieler im Spiel hat, gewinnt. Es gab die folgenden Kommandos: Hand (Hände in die Luft), Fuß (Füße berühren), Kopf (Kopf berühren) und Spring (aufstehen und hochspringen). Der Spieler, der reagiert, obwohl kein „Kommando“ vorwegging, scheidet aus.

Spiel 7: Make a Row (Bilde eine Reihe) (2Pkt.)
Beide Teams bekamen drei Stichworte und mussten ihre Gruppe danach aufsteigend sortieren, OHNE zu reden. Die Stichworte: Größe, Alter und Distanz des eigenen Hauses zu unserem Waisenhaus.

Spiel 8: The Pure Water Race (das Wasser-Rennen) (2Pkt.)
Die Kapitäne bekamen jeweils ein wenig Geld und mussten dem Spielleiter (meiner Wenigkeit) einen Beutel „pure Water“ (kleine, mit Trinkwasser gefüllte Plastikbeutel) kaufen. Um zu gewinnen, muss das gesamte Team die Ziellinie überqueren. Der nächste Kiosk befand sich etwa 500m weit entfernt von unserem Haus.

Nach gut drei Stunden Spielzeit konnten wir schließlich Team Good Luck zum Sieger der ersten olympischen Spiele Nigerias küren. Der Preis war eine Schachtel Kekse, aber ich hatte natürlich noch eine zweite für das andere Team in der Hinterhand. Insgesamt eine super gelungene Aktion, die uns unglaublich viel Spaß gemacht hat. Ganz besonders euphorisch waren die Kids natürlich beim Eierlauf, da das mal etwas komplett Neues war. Sehr positiv fiel mir auf, dass beide Teams sehr fair miteinander umgingen. Bei „Triff den Eimer“ hat das eine Team das jeweils andere sogar angefeuert. Definitiv ein gelungener Abschluss.

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Eigentlich war’s das, aber eine aufregende Sache habe ich noch. Wir waren bereits mit dem Essen fertig, saßen in entspannter Runde zusammen und quatschten noch ein wenig, als vor uns plötzlich eine 1,5-2 Meter lange Schlange auftauchte. Reflexartig wurde eine Art Notfallprotokoll ausgeführt, in dem die Frauen die Kinder in den 1. Stock des Hauses brachten und die Männer sich mit Stock und Stein bewaffneten, um auf die Jagd zu gehen. Die Regel scheint zu sein, dass, wenn eine Schlange sich bereits in unmittelbarer Nähe zum Haus befand, sie getötet werden muss, da sie höchstwahrscheinlich immer wiederkommen wird. Zwei der Männer trieben sie also aus ihrem Versteck heraus in die Richtung, in der ich mich mit zwei weiteren befand. Als sie schließlich auf uns zu kam, warfen wir sie mit Steinen K.O. und da sie direkt vor mir lag, reagierte ich schnell und tötete sie mit einem Ast. So leid mir das Tier auch tat, aber ein Biss endet für einen Menschen hier in der Regel tödlich. Nun ja, jetzt kann ich behaupten, eine giftige Schlange getötet zu haben. Was man hier nicht alles so erlebt.